Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

92 Die Ssterreichisch-ungerische Monarchie. (Juni 1. 2.) 
Regierungsvorlage oder eines Beschlusses des Herrenhauses findet nur auf 
Beschluß des Hauses statt. Ein weiterer Paragraph betrifft die Schaffung 
einer Rednertribüne, die Beschränkung der Redezeit im Hause, die Ab- 
stimmung durch Stimmzettel bei namentlichen Abstimmungen: Regierungs- 
vorlagen betr. Handelsverträge und Staatsverträge, Regierungsvorlagen 
betr. die gemeinsamen Angelegenheiten der Staatsvoranschlag= und der 
Rekrutenvorlage erfahren als befristete Vorlagen besondere Behandlung. 
Bezüglich der Behandlung von Reden in nicht deutscher Sprache einigte 
sich der Ausschuß auf eine Resolution, das Bureau des Hauses zu ersuchen, 
hierüber geeignete Vorschläge zu machen. 
1.—6. Juni. Das Kaiserpaar besucht die Isonzofront, Istrien, 
Kärnten und Vorarlberg. 
Am 2. erläßt Kaiser Karl folgendes Befehlschreiben: An Meine 
Isonzoarmee! In schwerstem, tagelangem Ringen habt Ihr lang- 
vorbereitete, mit besonders mächtigen Kräften durchgeführte Angriffe des 
Feindes abgeschlagen, ihm abermals gezeigt, welch Heldenmut in Euerer 
Brust lebt. Es drängt Mich, zu Euch zu eilen, um Euch in Euerer Mine 
aus Herzensgrunde zu danken für Euere Tapferkeit, Ausdauer und Hin- 
gebung. Aus allen Teilen des geliebten Vaterlandes stammend, habt Ihr 
mit vereinter Kraft, treu zusammenstehend, Bewundernswertes geleistet, 
Euch heißen Dank der Heimat verdient. Nicht jedem Einzelnen von Euch 
kann Ich Aug in Auge Meinen Dank sagen. Das Kommandeurkreuz des 
Militär-Maria Theresien-Ordens aber, das Ich heute Euerem hochbewährten 
Führer, dem Generaloberst v. Boroevic, auf die Brust hefte, es versinn- 
bildliche nicht nur dem Armeekommandanten Meine höchste Anerkennung, 
es zeige auch Euch allen — Führern und Kämpfern — Meinen tief 
empfundenen Dank, Meine stolze Zufriedenheit. Gottes Segen war mit 
uns. Beten wir zum Allmächtigen, Er möge uns auch fernerhin würdig 
finden Seines gnädigen Schutzes und Schirmes. Er gewähre uns den end- 
gültigen vollen Erfolg! 
Adelsberg, am 2. Juni 1917. Karl m. p. 
2. Juni. Offenkliche Meinung und Kriegsziele. 
Das „WB.“ verbreitet folgende halbamtliche Wiener Auslassung: 
Seit Freigabe der Erörterung über die Kriegsziele der Monarchic 
(s. S. S0) folgen in der Tagespresse zahlreiche bemerkenswerte Artikel auf- 
einander, aus denen deutlich hervorgeht, nach welcher Richtung die öffent- 
liche Meinung in dieser Angelegenheit sich entwickelt. Es wird dabei all- 
gemein an der Erklärung des Grafen Czernin festgehalten, daß gegen 
Rußland keine aggressiven Absichten in Oesterreich-Ungarn vor- 
handen seien und an keine Vermehrung der Macht Oesterreich-Ungarns 
auf Kosten Rußlands gedacht wird. Auch die Neuregelung der polnischen 
Frage wird in dem Sinne ausgelegt, daß dadurch Gefahrmöglichkeiten 
für die Zukunft ausgeschaltet und die Herstellung eines dauernden fried- 
lichen Verhältnisses zu Rußland erleichtert wird. Allgemein wird auch 
verlangt, daß es dem Panfslawismus unmöglich gemacht werden müsse, in 
Zukunft nochmals an Serbien und Montenegro Stützpunkte gegen 
Oesterreich-Ungarn zu gewinnen. Eine sachgemäße Regelung der süd- 
slawischen Frage müsse dazu beitragen. Das Serbien der Vergangenheit 
dürfe nicht wieder erstehen, für die Befriedigung der wirtschaftlichen Be- 
dürfnisse Oesterreich-Ungarns an der Adria erscheine allgemein die Siche- 
rung des Hafens von Cattaro durch Beherrschung des Lovcen unbedingt 
ersorderlich. Ein autonomes Albanien in freier nationaler Entwicklung
	        
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