Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

964 Der Fricde in Gü# (Dezember 22.—28.) 
Bevölkerung dieser Gebiete die Möglichkeit gegeben werden, binnen kürze#er 
genau bestimmter Frist vollkommen frei über die Frage ihrer Bereinigung 
mit dem einen oder anderen Reich oder über die Bildung eines selbständizer 
Staates zu entscheiden. Hierbei ist die Anwesenheit irgendwelcher Trunzen 
in den abstimmenden Gebieten nicht zulässig außer von nationalen oder 
örtlichen Milizen. Bis zur Entscheidung dieser Fragen aber liegt die Ver- 
waltung dieser Gebiete in den Händen von in demokratischer Weise ge- 
wählten Vertretern der örtlichen Bevölkerung selbst. Die Frist der Räumung 
nebst den näheren Umständen und dem Beginn und Verlauf der Demobin. 
sation des Heeres wird durch eine besondere militärische Kommission bestimmt. 
Demgegenüber schlägt Deutschland vor, den ersten beiden Artikeln des zu 
schaffenden Präliminarvertrages nachstehende Fassung zu geben: Art. 1. Ruß- 
land und Deutschland erklären die Beendigung des Kriegszustandes. Beide 
Nationen sind entschlossen, fortan in Frieden und Freundschaft zusammen 
zu leben. Deutschland würde (unter der Voraussetzung der zugestandenen 
vollen Gegenseitigkeit gegenüber seinen Bundesgenossen) bereit sein, sobald 
der Frieden mit Rußland geschlossen und die Demobilisierung der rufsischen 
Streitkräfte durchgeführt ist, die jetzigen Stellungen und das besetzte russiiche 
Gebiet zu räumen, soweit sich nicht aus Art. 2 ein anderes ergibt. Art. 2. Nach- 
dem die russische Regierung, entsprechend ihren Grundsätzen, für alle im 
Verbande des russischen Reiches lebenden Völker ohne Ausnahme ein b 
zu ihrer völligen Absonderung gehendes Selbstbestimmungsrecht proklamien 
hat, nimmt sie Kenntnis von den Beschlüssen, worin der Volkswille aus- 
gedrückt ist, für Polen, sowie für Litauen, Kurland, Teile von Estland und 
Livland die volle staatliche Selbständigkeit in Anspruch zu nehmen und aus 
dem russischen Reichsverbande auszuscheiden. Die russische Regierung er- 
kennt an, daß diese Kundgebungen unter den gegenwärtigen Verhältnißen 
als Ausdruck des Volkswillens anzusehen sind, und ist bereit, die hieraus 
sich ergebenden Folgerungen zu ziehen. Da in denjenigen Gebieten, auf 
welche die vorstehenden Bestimmungen Anwendung finden, die Frage der 
Räumung nicht so liegt, daß diese gemäß den Bestimmungen des Art. 1 
vorgenommen werden kann, so werden Zeitpunkt und Modalitäten der nach 
russischer Auffassung nötigen Bekräftigung der schon vorliegenden Los- 
trennungserklärungen durch ein Volksvotum auf breiter Grundlage, bei der 
irgendein militärischer Druck in jeder Weise auszuschalten ist, der Beratung 
und Festsetzung durch eine besondere Kommission vorbehalten. Eine im 
wesentlichen gleichlautende Formulierung wird österreichisch-ungarischerseits 
vorgeschlagen. 
Die russische Delegation nimmt diese Erklärungen zur Kenntnis und 
stellt ihre Auffassung daraufhin wie folgt fest: Wir stehen auf dem Stand- 
punkt, daß als tatsächlicher Ausdruck des Volkswillens nur eine solche 
Willenserklärung betrachtet werden kann, die als Ergebnis einer bei gänz- 
licher Abwesenheit fremder Truppen in den betreffenden Gebieten vor- 
genommenen freien Abstimmung erscheint. Daher schlagen wir vor und be- 
stehen darauf, daß eine klarere und genauere Formulierung dieses Punktes 
erfolgt. Wir sind jedoch damit einverstanden, daß zur Prüfung der tech- 
nischen Bedingungen für die Verwirklichung eines derartigen Referendums, 
desgleichen zur Festsetzung einer bestimmten Räumungsfrist eine Spezial- 
kommission eingesetzt wird. 
Nach Abschluß dieser Beratungen findet am 28. die dritte Plenar- 
sitzung statt, in der von beiden Parteien der Befriedigung über das gute 
Ergebnis der sechstägigen Verhandlungen und der Hoffnung auf ihren be- 
friedigenden Abschluß Ausdruck verliehen wird.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.