Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

10 Bie ökerreichisch-ungarische Monarchie und die Nachsolgekaaten. (Jan. 21.—25.) 
polnischer Staat, der die zweifellos von polnischer Bevölkerung bewohnten 
Gebiete einschließen müßte“, errichtet werden. Auch über diesen Punkt 
würden wir uns, so glaube ich, mit Herrn Wilson bald einigen. Und wenn 
der Präsident seine Vorschläge durch den Gedanken eines allgemeinen Völker- 
bundes krönt, so wird er wohl nirgends in der österreichisch-ungarischen 
Monarchie dabei auf Widerstand stoßen. Wie sich aus dieser Vergleichung 
meiner Ansichten und jener Herrn Wilsons ergibt, stimmen wir nicht nur 
in den großen Prinzipien, nach denen die Welt mit Abschluß dieses Krieges 
neu geordnet werden soll, im wesentlichen überein, sondern unsere Auf- 
fassungen nähern sich auch in mehreren konkreten Friedensfragen. Die 
Differenzen, welche übrig bleiben, scheinen mir nicht so groß zu sein, daß 
eine Aussprache über diese Punkte nicht zur Klärung und Annäherung 
führen könnte. Diese Situation, welche sich wohl daraus ergibt, daß Oester- 
reich-Ungarn einerseits und die Vereinigten Staaten von Amerika anderer- 
seits jene Großmächte unter den beiden feindlichen Staatengruppen sind, 
deren Interessen aneinander am wenigsten widerstreiten, legt die Erwägung 
nahe, ob nicht gerade ein Gedankenaustausch zwischen diesen beiden Mächten 
den Ausgangspunkt für eine versöhnliche Aussprache zwischen allen jenen 
Staaten bilden könnte, die noch nicht in Besprechungen über den Frieden 
eingetreten sind. Zum Schlusse legt Cz. dar, daß es sich für Oesterreich= 
Ungarn bei den Verhandlungen mit der Ukraine um die sehr wichtige 
Nahrungsmittelfrage handle. Aber solche Verhandlungen bräuchten Zeit; 
wenn man ihm in den Rücken falle und ihn zwinge über Hals und Kopf 
abzuschließen, werde die Bevölkerung auf manche wirtschaftliche Vorteile 
verzichten müssen. Besonders verwerflich seien die Streiks, die die Zufuhr 
von Nahrungsmitteln und Kohlen erschwerten. Die Regierung wolle das- 
selbe, wie die Majorität der Monarchie, nämlich die baldigste Erreichung 
eines ehrenvollen Friedeus ohne annexionistische Ziele. Aber um das zu 
erreichen, müsse man Vertrauen zu ihm haben. Die Alternative für den 
Ausschuß sei, ihm zu helfen oder ihn durch Verweigerung des Vertrauens 
zu stürzen. (Den vollständigen Wortlaut der Rede s. in der „Nordd. Allg. 
Ztg.“ 1918 Nr. 45.) 
Am 25. ergreift Graf Czernin noch einmal das Wort, um auf die 
Ausführungen der Delegierten zu erwidern. Bezüglich des von soz. Seite 
erhobenen Vorwurfs, die Rede des Generals Hoffmann in Brest-Litowsk 
nicht verhindert zu haben oder nicht gegen sie ausgetreten zu sein, erklärt 
der Minister: Das Verhältnis des von mir ungemein hochgeschätzten und 
als General ganz zweifellos hervorragenden Herrn zu mir läßt sich un- 
gefähr so präzisieren, daß weder ich ihm, noch er mir vorschreiben kann, 
was wir sprechen. Gegen seine Rede zu polemisieren hätte ich völlig un- 
richtig gefunden, denn die ganze Rede entfesselte einen Sturm im Wasser- 
glase. In Brest hat sich kein Mensch darüber aufgeregt, auch nicht Trotzki, 
der darauf antwortete, wenn Hoffmann sage, daß Rußland von den Deut- 
schen besetzt sei, so gebe er ihm darauf die Antwort, daß der Kaukasus und 
die Türkei von den Russen besetzt seien. Das eine sei des andern wert. 
Was die internen Angelegenheiten Deutschlands anbelangen, so lehne ich 
eine Diskussion über dieses Thema ab. Ich mache nur auf einen großen 
Unterschied in der Kriegszielfrage aufmerksam, den ich bereits wiederholt 
hervorgehoben habe. Deutschland besteht nicht nur aus dem Deutschen Reich 
auf dem europäischen Kontinent, sondern dazu gehören noch seine großen 
Kolonien, die zurückzubekommen es das Recht hat. Sie gehören zu seinem 
Besitzstand, und es ist selbstverständlich, daß es die Pfänder, die es besitzt, 
nicht aus der Hand geben kann, bevor es nicht die Garantien erhält, daß 
es seinen Besitzstand wiederbekommt. Darin ist Deutschland in einer andern
	        
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