Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

krankreich. (Dez. 27.—31.) 299 
wirken schrecklicher Schlachten begrenzte Gebiete geschaffen. Wenn man uns 
ankündigt, daß Gerechtigkeit geschaffen wird, muß man sich darauf gefaßt 
machen, daß die großen und kleinen Bölker vor den Schranken des Gerichts- 
hofes erscheinen werden. Ich habe ein tiefes Bewußtsein der Angelegen- 
heiten meines Landes, und meine Gedanken sind unaufhörlich beschäftigt 
mit den sofortigen Genugtuungen, auf die Frankreich ein Recht hat. Es 
gibt Forderungen, die ich zu vertreten habe. Ich will hier nicht sagen, 
welche es sind. Es gibt darunter solche, die ich vielleicht einem höheren 
Interesse opfern würde. Jedermann wird seine Ansprüche zu verteidigen 
haben. Wir haben einen Sieg errungen. Pflicht unser aller ist es, daß 
dieser Sieg die für das Gedeihen der Menschheit günstigsten moralischen 
Folgen habe. Wenn es nötig ist, besondere Opfer zu bringen, so bin ich 
dazu imstande. Ich ersuche Sie, während einiger Wochen das Opfer der 
Diskretion zu bringen. Ich habe altes Unrecht wieder gut zu machen. Die 
Besprechungen haben begonnen. Wilson ist ein sehr offener Geist, der durch 
die Einfachheit des Wortes und den Adel seiner Gedanken Achtung ein- 
flößt. Es sind das schwierige und mühsame Unterredungen. Wenn wir 
nicht zu einem Einvernehmen gelangten, würde der Sieg von kurzer Dauer 
sein, und die fürchterlichen Katastrophen würden bald wieder beginnen. Es 
ist unmöglich, mit alten Steinen ein neues Gebäude nach den Methoden 
einer überlebten Baukunst wieder aufzubauen. Wollen Sie in die alte Diplo- 
matie einen neuen Geist einführen, so bin ich mit Ihnen. Cl. schließt: Wir 
werden uns bemühen, dem Land gut zu dienen, wenn Sie uns ihr Ver- 
trauen schenken. Wenn Sie aber den Steuermann zu ändern beabsichtigen, 
tun Sie es sofort, denn unterwegs könnten Sie es nicht tun. (Lang- 
anhaltender Beifall.) 
Der Antrag Renaudel wird schließlich mit 398 gegen 93 Stimmen 
abgelehnt. " 
Am 30. wird ein Antrag Lafont (Soz.) worin ein Kreditabstrich 
vorgeschlagen wird, um der Mißbilligung der Expedition nach Rußland 
Ausdruck zu verleihen, mit 380 gegen 134 Stimmen abgelehnt. Ebenso 
wird ein Antrag des Abg. Mayéras auf Ablehnung der Kredite für das 
Flugwesen abgelehnt. Schließlich wird die Vorlage über die Militärkredite 
für die ersten drei Monate d. J. 1919 mit 416 gegen 7 Stimmen an- 
genommen. Die Kammer beginnt sodann die Beratung des Zivilbudgets 
für das erste Vierteljahr 1919. Vor der Abstimmung gibt im Namen der 
sozialistischen Fraktion Abg. Renaudel eine Erklärung ab, um die Stimm- 
enthaltung der Sozialisten zu rechtfertigen. Diese Erklärung stellt in sehr 
kräftigen Ausdrücken fest, daß die franz. Regierung nach den von Clemenceau 
und Pichon in der Verhandlung abgegebenen Erklärungen nicht an die 
Organisation des künftigen Friedens denkt, sondern tatsächlich nur an die 
Fortsetzung der allgemeinen Kriegsrüstungen zu Wasser und zu Land. Die 
Sozialisten hätten demgegenüber die Pflicht, für die Verwirklichung des 
Wilsonschen Friedensprogramms, das die franz. Regierung nicht verstehen 
wolle, einen stets wachsenden Druck auf die öffentliche Meinung auszuüben. 
Sodann wird das Budget mit 477 gegen 6 Stimmen angenommen. — 
Die Vorlagen gehen sodann an den Senat. 
Am 31. nimmt die Kammer die vom Senat zurückgelangten Finanz- 
gesetzentwürfe unverändert an und vertagt sich sodann auf unbestimmte 
Zeit. — Der Senat vertagt sich bis zum 14. Januar.
	        
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