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B. Staatsrechtliche Grundsätze.
1. Die Thronfolget).
Nach der VU. A. 53 ist „die Krone, den königlichen Hausgesetzen gemäss,
erblich in dem Mannsstamme des königlichen Hauses nach dem Rechte der Erst-
geburt und der agnatischen Linealfolge“. Hiernach ist also, da die Verfassung
anderweitige Bestimmungen über den Gegenstand nicht enthält, staatsgrund-
gesetzlich nur über die Thronfolge des Mannsstammes Anordnung getroffen. Die
Bestimmung des A.53 ergiebt zuförderst, dass die Krone innerhalb der succes-
sionsfähigen Mitglieder des Mannsstammes der regierenden Familie übertragen
wird. Um als successionsfähiges Mitglied des Mannsstammes betrachtet zu
werden, ist es nicht hinreichend, dass der Betrefiende männlichen Geschlechtes
und von einem Prinzen des königlichen Hauses erzeugt sei, sondern es ist er-
forderlich, dass derselbe von einem selbst successionsfähigen Prinzen des könig-
lichen Hauses durch rechtmässige Geburt aus einer ebenbürtigen, in hausgesetz-
lich gültiger Weise abgeschlossenen Ehe abstamme. Solanye ein derartiger
männlicher Abkömmling des königlichen Hauses vorhanden ist und solange der-
selbe nicht auf sein Successionsrecht verzichtet hat, kann kein anderer die
Krone rechtlich erwerben. Ob nach dem Aussterben des successionsberechtigten
Mannsstammes den Kognaten ein subsidiäres Thronfolgerecht zustehe, ist be-
stritten. Zu Zeiten des älteren deutschen Reiches waren die meisten Gebiete des
brandenburgischen Länderkomplexes Mannlehen, in denen von einer Succession
der Frauen und ihrer Nachkommen nicht die Rede sein konnte; nur in einzelnen
kleinen Gebieten, welche durch weibliche Erbfolge an das Haus gekommen
waren, war die subsidiäre kognatische Thronfolge stillschweigend beibehalten, so
2. B. in den aus der jülich-bergischen Succession erworbenen Ländern. Wäre
daher der ganze brandenburgische Mannsstamm zu Reichszeiten erloschen, so
hätten nach den damaligen fürstenrechtlichen Grundsätzen die Kognaten auf
diese Landestheile Anspruch machen können, während die anderen Landestheile
als erledigte Reichslehen heimgefallen oder an die Erbverbrüderten gefallen
wären. Eine solche mögliche Zertheilung oder Auflösung des Staates bei Er-
löschen des Mannsstammes nach verschiedenen erbrechtlichen Grundsätzen nahm
selbst Friedrich der Grosse in dem von uns zuerst veröffentlichten geheimen
Familienpakte von 1752 an. Nach den Grundsätzen des heutigen
Staatsrechtes ist jede Landestheilung aus fürstenrechtlichen
Gründen ausgeschlossen, Erhaltung der Staatseinheit oberstes
Axiom der Thronfolge?). Selbst nach Erlöschen des gesammten könig-
lichen Mannsstammes würden alle Ansprüche von Kognaten auf einzelne Lan-
destheile vor der Majestät dieses grossen Grundsatzes schweigen müssen,
1) Vergleiche meine ausführliche Darstellung der ganzen Lehre im preussischen Staatsrechte
B. I Kap. I. Abschn. II S. 172—211, wo auch die ganze Literatur angeführt ist.
2) Am besten dargethan von C. F.v. Gerber, Ueber die Theilbarkeit deutscher Staatsgebiete,
in Aegidis Zeitschr. für deutsches Staatsr. B. 1 H. 1. S. 5—24.