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hat von jeher, wie alle altfürstlichen Häuser, die Grundsätze des deutschen
Fürstenrechts festgehalten, dass nur Ehen mit dem hohen reichsständischen
Adel und mit wirklich regierenden auswärtigen Familien als ebenbürtig
zu betrachten sind. Die dagegen angeführten Fälle, besonders die Verbindung
Herzog Ottos mit Mechthild von Campen und Georg Ludwigs mit Sophia
Dorothea, der Tochter der Eleonore d’Ölbreuse, sind dadurch zu
erklären, dass hier ein ausdrücklicher agnatischer Consens hinzutrat, wodurch
jede Ehe zu einer ebenbürtigen gemacht werden kann. Da aber ein solcher
Consens in diesem Falle nicht vorlag, vielmehr der Widerspruch der Agnaten
feststand, so musste die Ehe mit einer Dame von einem auswärtigen Adels-
geschlechte, nach deutschem Fürstenrechte, wie nach braunschweigischen
Familienherkommen, als eine Missheirath angesehen werden. Weder die be-
hauptete Abstammung von Königen in weiblicher Linie, noch die angeblichen,
früher besessenen Regierungsrechte der Familie über die Insel Man konnten
der Lady Murray eine Standesgleichheit mit einem regierenden deutschen
Fürstenhause beilegen ").
So blieben denn auch die Ansprüche des August d’Este auf die Eigenschaft
eines hannöverschen Prinzen unberücksichtigt.
Wilhelm IV. starb am 20. Juni 1837 und damit wurde die seit 123 Jahren
bestehende Personalunion zwischen Grossbritannien und Hannover gelöst.
Mit der Thronbesteigung von Ernst August begann die Reihe eigener
hannöverscher Könige. War staatsrechtlich auch Hannover immer ein von
der grossbritannischen Krone völlig unabhängiges Land geblieben, so hatte es doch
thatsächlich oft fremdartigen Interessen dienen, der englischen Politik sich
yuterordnen müssen. Jetzt konnte Hannover unter einem eigenen, im Lande
residirenden Könige, unter einer weise geordneten Staatsverfassung nur sich selbst
und dein deutschen Gesammtvaterlande angehören. Eine neue glückliche Acra
schien sich seiner staatlichen Entwickelung zu eröffnen. Aber diese Hoffnung wurde
auf das bitterste getäuscht. Ernst August vernichtete durch das verhängnissvolle
Patent vom 1. November 1837 das rechtmässig zustandegekommene, in voller
Wirksamkeit stehende Staatsgrundgesetz vom 26. September 1833, das Werk
reifer Berathungen, das schönste Ehrendenkmal seines königlichen Bruders,
welches dem Volke Ordnung und massvolle Freiheit gleichmissig verbürgte. Diesen
Rechtsbruch hat das gesammte Bewusstsein der deutschen Nation und die deutsche
Rechtswissenschaft einstimmig verurtheilt?2). Durch die in dem Patent vom 5. Juli
1837 und vom 1. November 1837 ausgesprochenen Ansichten wurden die chrwür-
digsten Fundamentalsätze unsers deutschen Staats- und Fürstenrechts schwer ver-
letzt, wonach insbesondere jeder Nachfolger durch alle verfassungsmässigen Hand-
lungen seines legitimen Vorgängers, wie durch seine eigenen, unzweifelhaft
1) Ueber diese Frage, besonders in Beziehung auf das Herkommen des Hauses Braun-
schweig vergleiche man namentlich Eichhorns gründliche Erörterung S. 122—171.
Siehe hierüber die ausführlichen Gutachten der Juristenfacultäten zu Heidelberg, Jena
und Tübingen, herausgegeben von Dahlmann, und die hannörerschen Verfassungsfragen beant-
wortet von Reyscher, Zeitschrift für deutsches Recht Bd. I. 1. Heft S. 176.