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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 24.
Verwirklichung. Das dritte System basirt auf dem ursprünglich für die ganze Monarchie
eltenden Allgemeinen Landrecht und ist im Laufe der Entwickelung theoretisch zum
ypus der Preußischen Volksschule geworden, hat aber in der realen Wirklichkeit um
den Vorrang mit der konfessionellen Schule zu kämpfen, in welcher nicht nur die Religion,
sondern auch die Wissenschaft konfessionell gelehrt, danach das Lehrerpersonal konfessionell
angestellt und auch das Aufsichtsrecht gehandhabt werden soll. Diese konfessionelle
Schule ist eine Abschwächung der kirchlichen, mit der Tendenz, wieder zur unabgeschwächten
kirchlichen zu werden, findet aber weder an den Bestimmungen des Allgemeinen Land-
rechts und der verschiedenen Schulreglements noch an Art. 24 der Verfassungsurkunde
ihre legale Rechtfertigung, sondern beruht lediglich auf der Verwaltungspraxis. Endlich
die Simultanschule läßt sich auffassen als die Vereinigung zweier nach dem dritten
System eingerichteter Schulen, von denen die eine katholischen, die andere evangelischen
Religionsunterricht ertheilt, und ist gesetzlich zulässig, so daß ihre Errichtung nach lokalen
Zweckmäßigkeitsgründen zu beurtheilen ist. Art. 24 perhorrescirt wohl die konfessionslose,
nicht aber die Eimultanschule,
Siehe v. Rönne Bd. 2 §172 S. 475 bis 480; v. Schulze Bd. 2 § 225 S. 348 bis
353; Gneist Die konfessionelle Schule. Ihre Unzulässigkeit nach Preußischem Landesgesetze
und die Nothwendigkeit eines Verwaltungsgerichtshofes. Berlin 1869; Gneist Die
Simultanschule, Berlin 1880 (Abdruck eines von Gneist im Abgeordnetenhause abgegebenen
Votums, Stenogr. Berichte 1879/1880 Anl. Bd. 2 S. 1235); Gegenschrift: Burling
Die konfessionelle Schule in Preußen und ihr Recht. Gotha 1885.
Richter Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 8. Auflage,
Leipzig 1886, S. 1249 Anm. 9 äußert sich in folgender Weise:
Gegen die Betheiligung der Kirche sind in einer jüngstvergangenen Zeit viele
Stimmen laut geworden, welche eine Trennung der Schule von der Kirche gefordert
haben. Diese gingen von der ganz unverständigen Voraussetzung aus, daß die
Schule neben der Kirche eine eigene Lebensordnung sei; das Ziel aber war die
Losreißung des Unterrichts von seinem christlichen Grunde. Einer solchen Richtung
nachzugeben wird der Staat, der um seine Zukunft besorgt ist, stets verweigern
müssen. Ebensowenig jedoch darf er in der Bildung des heranwachsenden Geschlechts
seine Zukunft in die Hände der Kirche legen, wie dies das andere Extrem gefordert
hat. Die Auslieferung des Volksunterrichtswesens an die Kirche ist ein Verzicht
auf eine der edelsten Pflichten, welche dem Staate obliegen. Wohl aber soll sich
der Staat erinnern, daß die Kirche ihm Vieles zu bringen vermag, was er sich
selbst nicht gewähren kann. Er handelt mithin gut und recht, wenn er die Organe
der Kirche nicht bloß bei der Leitung des Religionsunterrichts und der Bestellung
der Religionslehrer, sondern bei der Verwaltung des Unterrichtswesens überhaupt
würdig betheiligt.
Das Recht, den Religionsunterricht in der Schule zu beaufsichtigen, ist der Kirche nie-
mals bestritten worden, aber über die Bedentung des „Leitens“ hat bei der Entstehung
des Art. 24 umsoweniger Klarheit geherrscht, als man zwischen den Ausdrücken „besorgen
und überwachen“ und „leiten“ hin- und herschwankte. Somit ist bloß ein abstrakter
Satz aufgestellt, der sein Leben erst durch das zu erlassende Unterrichtsgesetz erhalten soll.
Inzwischen steht ein Doppeltes fest. Nämlich erstens gewährt Art. 24 den Religions-
gesellschaften nicht das Recht der Mitwirkung bei der Ernennung der Lehrer. Sodann
ist die Ertheilung des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen kein Ausfsluß
des geistlichen Amts, sondern beruht auf einer Uebertragung Seitens des Staates. Das
Amt des Religionslehrers, auch wenn es von dem Ortsgeistlichen verwaltet wird, ist
weder ein kirchliches, noch ein Amt in einer der christlichen Kirchen, sondern ein Staats-
amt, sei es ein unmittelbares, sei es ein mittelbares. Eine selbstständige Aufsicht der
Kirche über die Schulen hat gleichfalls mindestens seit Emanation des Allgemeinen Land-
rechts nicht bestanden, und ihre Gewährung würde eine vorherige Abänderung des Art. 23
Abs. 1 der Verfassungsurkunde erfordern. Siehe die Kultusministerialreskripte vom 21.
Dezember 1874, 6. Januar 1876 und 18. Februar 1876 (Centralblatt für die gesammte
Unterrichtsverwaltung 1875 S. 20, 1876 S. 154, Verwaltungs-Minist.-Bl. 1876 S. 68;
Obertribunal Plenarbeschluß 12. Oktober 1874 und 14. Juni 18377, Oppenhoff
Rechtsprechung Bd. 15 S. 655 und Bd. 18 S. 415).
Das Reskript, betreffend den katholischen Religionsunterricht in
der Volksschule, vom 18. Februar 1876 (Centralbl. für die gesammte Unterrichts-
verwaltung S. 120), durch Reskript vom 22. März 1880, U. III. B. 5304, für maßgebend
erklärt auch für die Behandlung des evangelischen Religionsunterrichts, übrigens durch