I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 28. 107
stellungen begangen werden, sind nach den allgemeinen Strafgesetzen
zu bestrafen.
A.
B.
Die beiden Art. 27 und 28 können im Falle des Belagerungszustandes, Krieges oder
Aufruhrs außer Kraft gesetzt werden (Art. 111).
Das Recht der freien Meinungsäußerung und der Mittheilung von Thatsachen, zunächst
der mündlichen, ist eine Grundbedingung des Verkehrs, also ein selbstverständliches.
Wird es gleichwohl durch die Verfassungsurkunde anerkannt, so ist dadurch verfassungs-
mäßig garantirt, daß es statthaft ist, über Personen, Thatsachen und Verhältnisse, ins-
besondere auch über Handlungen der Regierung lobend oder tadelnd zu urtheilen. Hier-
durch wird auch die bereits in Art. 20 (oben S. 83) anerkannte Leörsreihe garantirt
und nicht minder das Recht der Protestation. Einer Anerkennung der Denkfreiheit
— wenn man darunter nicht mehr versteht, als der Ausdruck besagt — bedarf es
niemals.
Aus dem Rechte der freien Meinungsäußerung kann aber ein Grund für die Zu-
lässigkeit oder Straffreiheit solcher Aeußerungen nicht hergeleitet werden, welche die Rechte
anderer Personen verletzen oder bestimmte Strafgesetze übertreten. Insbesondere findet
Art. 27 seine natürliche Schranke in denjenigen Gesetzen, welche zum Schutze der Ehre
gegeben sind. Dies spricht Art. 28 in unzweideutiger Weise aus. Unter den „allgemeinen
Strafgesetzen“ sind nicht blos die für die Gesammtmonarchie, sondern auch die für die
einzelnen Theile derselben ordnungsmäßig erlassenen und vorschriftsmäßig publizirten,
also für letztere allgemeine Geltung besitzenden Gesetze und Verordnungen zu verstehen.
Unter Censur ist die Anordnung zu verstehen, daß keine Schrift eher gedruckt
werden darf, als bis die für diese Zwecke bestimmte Behörde ihre Genehmigung dazu
ertheilt hat, keineswegs aber jede Maßregel einer Behörde, welche sich gegen die Dar-
legung und Ausbreitung der Gedanken richtet. Schreibt z. B. eine Polizeiverordnung
vor, daß vor Veranstaltung einer öffentlichen Theatervorstellung die Erlaubniß der zu-
ständigen Verwaltungsbehörde unter Beifügung des zur Aufführung bestimmten Stückes
eingeholt werden muß, und daß diese Genehmigung auch bei wiederholter Aufführung
desselben Stückes erforderlich ist, sofern mit demselben Veränderungen vorgenommen
werden sollen, so ist dies keine Cenfur im Sinne des § 21, sondern geschieht in Aus-
übung des nach § 10 A. L. R. II 17 der Polizeibehörde obliegenden Ueberwachungs-
rechts. Kammergericht 31. Januar 1884, Johow Jahrbuch Bd. 4 S. 249.
Die Anforderungen, welche im Interesse des Amtes von jedem Beamten erfüllt
werden müssen, erstrecken sich über die Amtsverwaltung hinaus auf das gesammte außer-
amtliche Verhalten des Beamten. Dieser an sich richtige Satz ist von dem Oberver-
waltungsgericht (Urtheil vom 20. Dezember 1886, Entscheidungen Bd. 14 S. 404) dahin
gewandelt worden, daß die Staatsbeamten, sowohl die unmittelbaren als auch die mittel-
baren, auch in ihrer politischen Thätigkeit als Staatsbürger nicht von den ihnen durch
ihr Staatsamt auferlegten Pflichten entbunden seien; ein gegentheiliges Verhalten bilde
ein Disziplinarvergehen. Diese Ansicht ist jedenfalls für den wichtigsten Theil der po-
litisch-staatsbürgerlichen Thätigkeit irrig. Siehe unten Art. 83, Art. 84 Abfs. 1.
Nach Art. 4 Nr. 16 der Reichsverfassung unterliegen der Beaufsichtigung Seitens des
Reichs und der Gesetzgebung desselben die Bestimmungen über die Presse. Auf Grund
dieser Kompetenzbestimmung ist ergangen das Gesetz über die Presse vom 7. Mai
1874 (Reichs-Ges.-Bl. S. 65). Dasselbe findet Anwendung auf alle Erzeugnisse der
Buchdruckerpresse, sowie auf alle anderen durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten,
zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen
mit oder ohne Schrift und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen, nicht aber auf die
von den Deutschen Reichs-, Staats= oder Gemeindebehörden, von dem Reichstage oder von
der Landesvertretung eines Deutschen Bundesstaats ausgehenden Druckschriften, soweit sich
deren Inhalt auf amtliche Mittheilungen beschränkt, und nicht auf Stimmzettel (Ges.
v. 12. März 1884, Reichs-Ges.-Bl. S. 17). Ferner unterliegen nicht den für periodische
Druckschriften getroffenen Bestimmungen die auf mechanischem oder chemischem Wege
vervielfältigten Mittheilungen, als lithographirte, autographirte, metallographirte,
durchschriebene Korrespondenzen, sofern sie ausschließlich an Redaktionen verbreitet werden
(5§§ 2, 12, 13). Die Censur ist nicht statthaft. Dem Zwecke der Preßpolizei, also um
dem Mißbrauche der Preßfreiheit vorbeugend entgegenzuwirken und die künftige straf-
rechtliche Verfolgung etwa begangener Preßdelikte zu sichern, dienen folgende, durch
Strafandrohungen verschärfte Anordnungen: