112 I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 33.
sprechung des Oberverwaltungsgerichts steht das Petitionsrecht Gemeindevertretungen
nur zu, soweit kommnnale Interessen in Frage stehen. Diese Rechtsprechung ist ganz
gewiß zutreffend. Dies wird klar, wenn man von dem Petitionsrecht der unmittelbaren
Staatsbehörden ausgeht. Darf eine unmittelbare Staatsbehörde die ihr als öffentlichem
Organ für einen bchtimmten Geschäftskreis übertragene publica unctoritas über diese
Sphäre inaus zur Unterstützung einer Handlung gebrauchen, welche außerhalb ihres
Geschäftskreises liegt, z. B. darf das Amtsgericht Glückstadt als solches um Einführung
des Zonentarifs auf den Staatsbahnen petitioniren? Diese Frage ist doch wohl zu ver-
neinen. Wie es anders sein soll, wenn eine Gemeindevertretung um Aenderung des
Wahlsystems für die Wahlen zum Landtag petitionirt, ist nicht abzusehen, wogegen eine
Petition gegen Getreidezölle wohl statthaft sein kann, wenn sie nämlich gerade mit Be-
zug auf die besonderen Verhältnisse einer Stadt, z. B. als Hafenplatz, erfolgt (Ober-
verwaltungsgericht 10. März 1836, Entscheidung Bd. 13 S. 89).
C. Nach der Ansicht von v. Rönne, Bd. 2 vor § 143 S. 173, und v. Schulze, Bd. 1
*# 112 S. 370 (Art. 32 selbst ist nirgendswo im Schulze'schen Werke behandelt) ist das
Petitionsrecht kein selbstständiges Recht mit eigenem materiellen Inhalt — Bitten ist
keine Rechtshandlung, sondern eine res merae kacultatis! —, sondern nur ein formelles
Recht, welches sich auf Schutz, Sicherung und ungehemmte Geltendmachung der Inter-
essen des öffentlichen und Privatlebens und Erfüllung der Lebenszwecke des Menschen
im socialen Verhältniß bezieht. Diese auch von v. Gerber a. a. O. S. 36 und Meyer
Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts § 213 getheilte Ansicht ist nach Preußischem
Staatsrecht nicht begründet. Das Petitionsrecht beschränkt sich nicht auf bestimmte, dem
etenten gegen den Staat oder einen Dritten zustehende Rechte. Warun sollte ein Erfinder
sich nicht mit der Bitte um Unterstützung oder Befürwortung seiner Erfindung an König,
Minister oder Landtag wenden dürfen? Thatsächlich geschieht es von jeher. Gleicher
Ansicht ist Arndt in Anmerk. 1 zu Art. 32.
Artikel 33.
Das Briefgeheimniß ist unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen
Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind
durch die Gesetzgebung festzustellen.
A. Das Briefgeheimniß und das von der Verfassungsurkunde nicht erwähnte Telegraphen-
eepeimunt sind jetzt reichsrechtlich geregelt, und dadurch ist diese Materie der Landes-
nelegebung aus den Händen genommen. Die reichsrechtlichen Bestimmungen sind
olgende:
1. Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs. Vom 28. October 1871
(Reichs-Gesetzbl. S. 347).
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Das Briefgeheimniß ist unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen
und in Konkurs- und in civilprocessualischen Fällen nothwendigen Ausnahmen sind
durch ein Reichsgesetz festzustellen. Bis zu dem Erlaß eines Reichsgesetzes werden
jene Ausnahmen durch die Landesgesetze bestimmt.
Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs. Vom
6. April 1892 (Reichs-Gesetzbl. S. 467).
88.
Das Telegraphengeheimniß ist unverletzlich, vorbehaltlich der gesetzlich für
strafgerichtliche Untersuchungen, im Konkurse und in civilprocessualischen Fällen oder
sonst durch Reichsgesetz festgestellten Ausnahmen. Dasselbe erstreckt sich auch darauf,
ob und zwischen welchen Personen telegraphische Mittheilungen stattgefunden haben.
2. Die in Betracht kommenden Spezialbestimmungen der Konkursordnung — 8 111 —
und der Strafprozeßordnung — 8§ 99 bis 101 (110) — sind mitgetheilt Anmerk.
B Nr. 2 zu Art. 6, oben S. 65. Civilprozessnalische Fälle sind nicht vorgesehen.
Die in Art. 33 vorgesehenen Ausnahmen für den Krieg sind nicht rezipirt, übrigens
auch in der Landesgesetzgebung unspezialisirt geblieben.
Für die Verletzung des Briefgeheimnisses in strafgerichtlichen Untersuchungen
ist wichtig die Bestimmung, daß in Ermangelung einer Einwilligung des Betroffenen
die Entscheidung über die Eröffnung eines Briefes oder einer anderen Postsendung