Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 48. 137 
Artikel 48. 
Der König hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu 
schließen, auch andere Verträge mit fremden Regierungen zu errich- 
ten. Letztere bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der 
Kammern, sofern es Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem 
Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt 
werden. 
A. Die Reichsverfassung bestimmt in 
Artikel 11 Abs. 1: 
Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des 
Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge 
mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. 
Artikel 76 Abs. 1: 
Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten — sofern dieselben 
nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu 
entscheiden sind — werden auf Aurufen des einen Theils von dem Bundes- 
rathe erledigt. 
Durch diese Bestimmungen ist die Souveränetät der Regierungen der Deutschen 
Einzelstaaten in Beziehung auf das Recht des Krieges keineswegs beseitigt und auf den 
naifer übergegangen. Denn Art. 11 bezieht sich nur auf die Kriege des Reiches, nicht 
auf die der Bundesstaaten, und Art. 76 gewährt dem Bundesrath die Entscheidung über 
die Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten nur dann, wenn eine der Par- 
teien seine Entscheidung auruft, also nicht dann, wenn keine der Parteien sie anruft. 
Den Einzelstaaten, also auch dem König von Preußen, ist jedoch das jus belli thatsächlich 
genommen, weil es nämlich keine Kriegsmarine der Einzelstaaten, sondern eine Kriegs- 
marine des Reiches giebt und der Befehl über die gesammte Landmacht des Reiches, 
d. h. über sämmtliche Kontingentstruppen, im Frieden — excl. des Bayerischen Kon- 
tingents — und noch entschiedener im Kriege — incl. des Bayerischen Kontingents — 
dem Kaiser zusteht (Reichsverfassung Art. 53 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1; Vertrag vom 
23. November 1870, betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen 
Bundes, Art. III. § 5 Ziff. 111., Bundesgesetzbl. des Nordd. Bundes 1871 S. 9). Somit 
kann jeder Krieg der Deutschen Staaten nur ein Reichskrieg sein. Und weil ferner nach 
Art. 11 nur dem Kaiser das Recht zusteht, einen Reichskrieg durch Friedensschluß zu 
beendigen, ist sowohl ein einseitiger Rücktritt eines Bundesgliedes vom Kriege vor dem 
Reichsfriedensschlusse, als auch eine einseitige Weiterfortführung des Krieges nach ge- 
schlossenem Frieden unstatthaft. Hiernach hat der König von Preußen als solcher das 
jus belli a#c pacis gänzlich verloren. 
B. Art. 48 unterscheidet: 
1. Verträge, welche zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kammern bedürfen: 
a) Handelsverträge, 
b) solche Verträge, durch welche dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern 
Verpflichtungen auferlegt werden: 
2. Verträge, welche zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kammern nicht bedürfen. 
Auch hier greift das Reichsrecht beschränkend ein. 
Weder die Reichsverfassung noch die Spezialgesetze des Reichs enthalten die Be- 
stimmung, daß die Einzelstaaten das Vertragerecht prinzipiell zu Gunsten des Reichs 
verloren haben. Die Einzelstaaten haben folglich das jus foederum nur insoweit ver- 
loren, als die Hoheitsrechte, auf welche die abzuschließenden Verträge sich materiell 
gründen, auf das Reich übergegangen sind, sind aber innerhalb der ihnen verbliebenen 
Zuständigkeit berechtigt, ihre Verhältnisse zu anderen Staaten selbstständig und ohne 
Vermittelung des Kaisers vertragsmäßig zu regeln. Jeder Band der Preußischen Gesetz. 
sammlung beweist, daß von dieser Befugniß fortgesetzt Gebrauch gemacht wird (z. 
gemeinsame Gerichte, der Thüringische Zoll= und Steuerverein, Anschluß an Preu sch 
Generalkommissionen, Grenzberichtigungen).
	        
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