Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

140 I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 49. 
Der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf 
Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen. 
A. Durch das Privilegium wird ein subjectives Recht für eine physische oder juristische 
Person durch einen Akt der Staatsgewalt unmittelbar begründet, durch die Dispensation 
die Nichtanwendung eines objektiven Rechtssatzes für einen einzelnen Fall bewirkt, durch 
die Begnadigung die strafrechtliche Folge einer unerlaubten und strafbaren Handlung 
aufgehoben oder gemindert. Die Begnadigung ist also ein Verzicht auf die Ausübung 
des staatlichen Strafanspruchs bezw. (Abolition) des staatlichen Verfolgungsrechts, ist 
aber nicht eine Aufhebung des Strafgesetzes für den Einzelfall durch lex specialis. 
Sie beseitigt die verwirkte Strafe, nicht aber die begangene strafbare Handlung, auch 
nicht die Thatsache der geschehenen Verurtheilung, was sich insbesondere bei der Frage 
nach einem Rückfalle bemerklich macht. (Strafgesetzb. §§ 245, 250 Nr. 5, 261, 264). 
Inhaber des Begnadigungsrechts ist der König (bezw. der Regent und im Falle des 
Art. 57 das Staatsministerium). Daß der Monarch sein Begnadigungsrecht persönlich 
ausübe, ist nicht vorgeschrieben. Er kann daher sein Recht delegiren und hat es vielfach 
delegirt. Siehe Anmerk. E. 
Die Begnadigung ist entweder eine Einzelbegnadigung oder die mehrere, persönlich 
oder sachlich umgrenzte Gebiete umfassende Amnestie (abolitio generalis) und umfaßt 
an sich folgende Befugnisse: 
a) das Recht der Abolition (abolitio specialis), der Niederschlagung des Strafprozesses 
vor dem Strafurtheil; 
b) das Begnadigungsrecht im engeren Sinne, das Recht, die Strafe entweder ganz (jus 
aggretiandi) oder zum Theil, auch durch Strafmilderung (jus mitigandi), zu erlassen: 
) das Recht der Restitution oder Rehabilitation (restitutio ex capite gratiae), das 
Recht, vor, bei oder nach Erledigung der erkannten Strafe die Ehrenfolgen aufzuheben. 
Das Begnadigungsrecht ist in mehrfacher Beziehung beschränkt, nämlich: 
1. Nach Strafprozeßordnung § 484 steht es in Sachen, in welchen das Reichsgericht 
in erster und letzter Instanz erkannt hat (Gerichtsverfassungsgesetz § 136 Nr. 1), 
dem Kaiser zu. 
2. Nach Art. 19 Abs. 2 kann es zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen ver- 
urtheilten Ministers nur auf Antrag derienigen Kammer ausgeübt werden, von 
welcher die Anklage ausgegangen ist. Diese Beschränkung ist, da ein Ministerver- 
antwortlichkeitsgesetz nicht existirt (unten Art. 61), zur Zeit ohne practische Bedentung. 
3. Bereits eingeleitete Untersuchungen können nach Art. 19 Abs. 3 nur auf Grund 
eines besonderen Gesetzes niedergeschlagen werden, nicht durch einfachen Königlichen 
Erlaß, auch nicht durch Verordnung mit Gesetzeskraft (unten Anmerk. E zu Art. 63). 
Diese Beschränkung bezieht sich nur auf strafgerichtliche Untersuchungen, also nicht 
auf die Disziplinaruntersuchungen und die im administrativen Wege von den zu- 
ständigen Verwaltungsbehörden eingeleiteten Untersuchungen (v. Rönne RBd. 1 § 108 
11 5, S. 545). Nach dem gegenwärtigen Strafprozeßrecht gilt die Untersuchung als 
eingeleitet oder „eröffnet“, wenn die Voruntersuchung eröffnet, bei einem Verfahren 
ohne Voruntersuchung die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen, bei einem Ver- 
fahren ohne Erhebung einer Anklage und auf Einspruch gegen einen amterichter- 
lichen Strafbefehl die Hauptverhandlung begonnen ist (Strafprozeßordnung 88 154, 
179, 201, 451). Es macht nach der unzweidentigen Bestimmung des Abs. 3 keinen 
unterschicd, ob es sich um eine abolitio specialis oder um eine Amnestie, abolirio 
generalis, handelt. Hiermit stimmt die bisherige Amnestiepraxis überein. 
4. Soweit dritten Personen aus einer Entscheidung gesetzlich ein Anspruch erwachsen 
ist, wird derselbe durch die Begnadigung nicht beeinträchtigt. So bei Forstdiebstählen 
an Gemeinde= oder Privateigenthum (Gesetz, betreffend den Forstdiebstahl, vom 
15. April 1878 § 34, Ges.-Samml. S. 222), den in Gemäßheit des Personenstands- 
gesetzes verhängten Geldstrafen (Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes 
und die Eheschließung vom 6. Februar 1875870, Reichs-Gesetzbl. S. 23), den Bußen 
(Strafgesetzbuch §§ 188, 231; Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, 
Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, vom 11. Juni 1870 
§ 18, 43, 45, Bundes-Gesetzbl. d. Nordd. Bundes S (4539. Gesetz über den Marken- 
schutz vom 30. November 1874 § 15, Reichs- Gesegl. 143; Gesetz betreffend 
das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, 0%. 9. Januar 1876 § 16,
	        
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