Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 56. 57. 58. 165 
des wegen unzureichenden Alters oder aus anderen Gründen Anfangs übersprungenen 
näheren Agnaten die Regentschaft wieder abgeben müsse. Dies wird mehrfach, z. B. 
von v. Gerber (§ 34 S. 103 Anm. 9), v. Rönne (Bd. 1 § 50 Nr. 4) und v. Schulze 
(Bd. 1 §71 S. 217) bestritten. Denn abgesehen davon, daß mit dem Wesen der Staats- 
oberhauptschaft ein Satz schwer vereinbar sein möchte, der einen gar zu häufigen Wechsel 
zur Folge haben würde, wäre derselbe auch juristisch gar nicht näher begründet. Es 
könne im Allgemeinen keineswegs als selbstverständlich betrachtet werden, daß die für 
den Erwerb eines Rechts bestehenden Voraussetzungen immer auch fortdauernde Be- 
dingungen seiner Innehabung seien. Diese Argumentation schlägt jedoch nicht durch, 
wie recht klar wird, wenn man, wie v. Rönne und v. Schulze es im Texte wirklich 
thun, die These dahin verallgemeinert, daß, abgesehen von den in der Person des Re- 
genten selbst liegenden Hindernissen, der einmal zur Regentschaft Berufene so lange 
Regent bleibe, bis die Regentschaft selbst aufhöre. Wie v. Gerber a. a. O. selbst er- 
klärt und in Art. 56 positiv bestimmt ist, ergiebt sich aus dem Begriffe der Regentschaft 
als einer unvollkommenen Art der Thronfolge, daß das Recht, als agnatischer Regent 
berufen zu werden, denselben Personen zustehen muß, welchen die Thronfolge überhaupt 
gebührt, und zwar nach Maßgabe der bestehenden Thronfolgeordnung. Hieraus folgt, daß 
der nächste Agnat, z. B. der Kronprinz, wenn er wegen Minderjährigkeit oder einer schweren, 
ihn der Dispositionsfähigkeit beraubenden Krankheit hat übergangen werden müssen, 
nach erlangter Großjährigkeit oder nach seiner Gesundung den Rücktritt des Regenten 
fordern kann, denn der Kronprinz ist der nächste zur Thronfolge, und es ist schlecht ver- 
träglich mit der Thronfolgeordnung, wenn der Kronprinz wegen eines nur temporären 
Hindernisses sich möglicher Weise auf ein Menschenalter hinaus in Staat und Haus 
einem entfernten Agnaten unterordnen muß. Daß dadurch ein häufiger oder vollends 
gar zu häufiger Wechsel in der Staatsoberhauptschaft bedingt werde, ein Argument, 
welches mit gleichem Fug gegen die Monarchie überhaupt verwendet werden kann, ist 
eine a priori gar nicht zu beweisende Behauptung. Dabei ist v. Rönne zudem inkon- 
sequent. Denn wenn seine Ansicht richtig ist, ist sie es bei jedem Regenten, nicht bloß 
bei dem agnatischen, sondern auch bei dem gemäß Art. 57 gewählten. Aber v. Rönne 
(Bd. 1 § 48 S. 184) räumt selbst ein, daß die Funktionen des gewählten Regenten nur 
bis dahin dauern, wo der nach Art. 56 verfassungsmäßig zur Regentschaft berufene 
Agnat die Volljährigkeit erreicht. Der richtigen Ansicht sind auch v. Stengel S. 46 
und Arndt Anmerk. 2 zu Art. 57. 
3. Die staatsrechtliche Stellung des Regenten. 
Der Regent ist nur interimistisches Staatsoberhaupt. Daher verbleiben dem Könige 
auch während der Regentschaft der Titel und die persönlichen Ehrenrechte, sowie der 
durch das Reichsstrafgesetzbuch dem Deutschen Kaiser und Preußischen König verliehene 
strafrechtliche Schutz, erfolgen alle Ausfertigungen, auch die der Gesetze, in seinem Namen 
und unter Beidrückung seines Siegels, werden alle Münzen mit seinem Brustbild, Titel 
und Wappen geprägt. Aber wenn auch im Namen des Königs, wird doch die dem 
Könige zustehende Gewalt von dem Regenten ausgeübt, ist dieser dem eigenen Staate, 
dem Deutschen Reiche und dem Auslande gegenüber der wirkliche Monarch, und der 
König darf weder selbst Regierungshandlungen vornehmen, noch einen Einfluß auf die 
Entschließungen des Regenten fordern. Ueberhaupt wird die Giltigkeit der Regierungs- 
handlungen des Regenten nach den für die Giltigkeit der Handlungen des Souveräns 
aufgestellten Bestimmungen beurtheilt. Der Regent darf daher auf verfassungsmäßigem 
Wege Aenderungen der Verfassung und zwar sogar solcher vornehmen, welche die Rechte 
des Königs schmälern oder ihm neue Verpflichtungen auflegen. Ebenso stehen ihm die 
Rechte eines Familienchefs zu. Wenn, was zulässig ist, der privatrechtliche Vormund 
für den minderjährigen König durch testamentarische Verfügung des letzten Monarchen 
ernannt worden ist, so hat es hierbei sein Bewenden, aber die Obervormundschaft führt 
auch in diesem Falle der Regent (Art. 51 Anm. A., letzter Abs., oben S. 156). Wie 
die Person des Königs (Art. 43, oben S. 123), ist auch die des Regenten unverletzlich, 
weil die Unverletzlichkeit, die Unverantwortlichkeit ein so wesentliches Element der mo- 
narchischen Institution ist, daß ohne sie ein Staatsoberhaupt nicht gedacht werden kann. 
Diese Unverantwortlichkeit des Regenten bezieht sich nicht bloß auf seine Regierungs- 
handlungen, sondern auch auf seine Handlungen als Privatmann; er kann daher wegen 
der während der Regentschaft vorgenommenen Handlungen auch dann nicht zur Rechen- 
schaft gezogen werden, wenn er nach Beendigung der Regentschaft wieder in den Privat- 
stand zurückgetreten ist. Wegen der vor dem Beginn der Regentschaft liegenden Hand- 
lungen kann er ebenmäßig während der Dauer der Regentschaft nicht zur Verantwortung 
 
	        
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