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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 62. 201
teressenten, vor der definitiven Bestätigung beiden Häusern des Landtages vorzu-
legen sei. Die Staatsregierung hat dieser Ansicht des Herrenhauses widersprochen.
Es sei, so hat sie behauptet, auch seit Emanation der Verfassungsurkunde keineswegs
erforderlich, für die Errichtung jener Statuten den Weg der ordentlichen Gesetzgebung
einzuhalten, denn die vor der Verfassungsurkunde erlassene Gesetzgebung habe ausschließ-
lich dem Landesherrn, ohne die Anhörung der Provinziallandtage und des Staats-
raths zu erfordern, die Sanktion solcher Statuten beigelegt, und die Emanation der Ver-
fassungsurkunde könne in der Behandlung dieser Materie keinen Unterschied be-
gründen (Beschluß des Herrenhauses vom 22. Mai 1860 Drucksachen 1860 Nr. 136 und
176, Stenogr. Bericht 1860 Bd. 2 S. 742 ff. und Bd. 3 S. 418 ff., Anlage Nr. 43 zur
Sitzung 37).
Es ist zu unterscheiden.
Die von den dem Staate untergeordneten Körperschaften oder Verbänden
(Gemeinden und Aemtern, Kreisen, Provinzen) und von den hochadeligen Familien
aufgestellten autonomischen Satzungen (Statuten, Hausgesetze) werden von dem
Landesherrn bestätigt nicht auf Grund einer der Zustimmung des Landtages nicht
bedürfenden gesetzgebenden Gewalt, sondern auf Grund des Oberaufsichtsrechts; die
Bestätigung bedarf also nicht der Zustimmung des Landtages.
Statuten, welche nach dem schon vor Emanation der Verfassungsurkunde be-
stehenden Rechte ihre verbindliche Kraft durch die landesherrliche Bestätigung er-
halten oder von dem Landesherrn erlassen werden, kann der Letztere auch ferner
ohne Mitwirkung des Landtages bestätigen oder erlassen, soweit nicht ausdrückliche
Bestimmungen der Verfassungsurkunde oder späterer Spezialgesetze entgegenstehen.
Im Uebrigen besteht, wie die Nothwendigkeit der Bestätigung, so ein Be-
stätigungsrecht ohne Mitwirkung des Landtages nur auf Grund ausdrücklicher ge-
setzlicher Bestimmung. Ist also die Bestätigung für nothwendig erklärt, ohne dem
Landesherrn bezw. dessen amtlichen Organen das Bestätigungsrecht zu verleihen,
so kann die Bestätigung nur unter Zustimmung des Landtages, also nur in Form
eines Gesetzes, erfolgen.
Privilegien nennen wir die durch einen Akt der Staatsgewalt unter Abweichung
von allgemeinen Rechtsregeln begründeten Rechte bestimmter Individuen dem Staat
oder anderen Staatsbürgern gegenüber. Nach § 7 A. L. R. II. 13 slteht die Be-
fugniß, „Privilegia, als Ausnahmen von dergleichen Gesetzen zu bewilligen“, dem
Oberhaupte des Staates zu, wogegen die Verfassungsurkunde dieser Befugniß nicht
gedenkt. Nach den landrechtlichen Bestimmungen (Einleitung 88 63 bis 72, 105,
105) erlöschen die Privilegien durch Ausspruch des Staatsoberhauptes aus über-
wiegenden Gründen des gemeinen Wohles gegen hinlängliche Entschädigung, durch
Richterspruch wegen groben Mißbrauches ohne Entschädigung, durch Wegfall des
nur für seine Person Privtlegirten, durch Entsagung, durch Trennung des Besitzers
von der Sache, mit Rücksicht auf welche das Personalprivilegium verliehen ist, durch
Ablauf der bestimmten Zeit, durch Eintritt der Bedingung, durch Wegfall des be-
stimmten Endzweckes. Natürlich kann, wie jedes jus quaesitum, auch das Privile-
gium durch neuen Gesetzesakt des Staats widerrufen werden.
Eine große Reihe Privilegien sind durch die Preußische und die Reichsgesetz-
gebung beseitigt: Steuer-, Bergwerks-, Gewerbs= und Handels-, Patent-, Marken-,
Nachdrucks-, Wehrpflichts-, Gerichtsstandsprivilegien u. s. w. Insoweit ist die landes-
herrliche Privilegienhoheit ausgehoben und können Privilegien nur durch ein Gesetz
verliehen werden. Bezüglich mehrerer Privilegien, z. B. der Ertheilung der Kor-
porationsrechte an profane Vereine (Art. 31, 13), Genehmigung der Ausgabe von
Inhaberpapieren (Gesetz wegen Ausstellung von Papieren, welche eine Zahlungsver-
pflichtung an jeden Inhaber enthalten, vom 17. Juni 1833, Ges.-Samml. S. 75),
Genehmigung von Eisenbahnunternehmungen (Gesetz über die Eisenbahnunterneh=
mungen vom 3. November 1838 § 1 Ges.-Samml. S. 505; Gesetz, betreffend die
Anlage von Eisenbahnen in den Hohenzollern- schen Landen, vom 1. Mai 1865 I,
Ges.-Samml. S. 317), gilt die Ertheilung zur Zeit un weifelhaft als eine Ver-
waltungssache. Im lebrigen ist im Einzelnen zu prilen) ob nicht die Rechts-
ordnung, in deren Gebiet das fragliche Privilegium fallen soll, nach dem Grunde
ihrer Entstehung und ihrem Zwecke ein unmittelbares Eingreifen der Regierung
ausschließt. Ergiebt diese Prüfung, daß die Verfassung oder das sonstige im Staate
geltende Recht eine Durchbrechung durch das Privilegium nicht zuläßt, so kann