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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 62.
ausft Jinanzfragen einzuräumen sei. Die Bedeutung dieser Bestimmung ist eine
reifache:
1. Die Krone hat die von ihr ausgehenden Finanzgesetzentwürfe und Staats-
haushaltsetats uerst dem Hause der Abgeordneten vorzulegen. gre usr sind, wie
Arndt Anmerk. 7 zu Art. 62 S. 125 treffend hervorhebt, nicht alle Gesetze, welche
auf die Finanzen des Staates Einfluß haben, z. B. nicht Gesetze, in denen Geldstrafen
angedroht, Pensionirungsverhältnisse der Beamten geregelt werden, sondern nur die-
jenigen, deren unmittelbarer Gegenstand die Finanzen sind: Steuergesetze, Anleihe-
garantiegesetze, Finanzen, welche die Regierung zu bestimmten Ausgaben ermächtigen.
Wird der Entwurf zu einem solchen Finanzgesetze oder wird der Etat zuerst dem Herren-
hause vorgelegt, so hat dieses die Vorlage als verfassungswidrig eingebracht zurückzuweisen.
Nimmt das Herrenhaus die Vorlage gleichwohl entgegen, um sie einer sachlichen Be-
rathung und Beschlußfassung zu unterziehen und sodann gemäß § 78 seiner Geschäfts-
ordnung dem Abgeordnetenhause mitzutheilen, so hat dieses die Entgegennahme abzulehnen.
2. Wenn das Abgeordnetenhaus gemäß § 73 seiner Geschäftsordnung den Staats-
haushaltsetat nach erfolgter Beschlußfassung dem Herrenhause mittheilt, so ist diesem nicht
verwehrt, den Etat in spezielle Berathung zu nehmen, über einzelne Abänderungsanträge
zu verhandeln und zu beschließen, aber es kann ihn bei der Schlußabstimmung nur im
Ganzen annehmen oder ablehnen, so daß seine Berathungen und Beschlüsse lediglich den
Werth haben, die Krone bei der Prüfung der Frage, ob das Etatsgesetz zu sanktioniren
sei, zu unterstützen. Auf der anderen Seite ist es von der Verfassungsurkunde nicht
verboten und kann bei der dem Herrenhause in Bezug auf den Staatshaushaltsetat auf-
erlegten Entsagung als praktisch erscheinen, wenn das Herrenhaus vor seiner Beschluß-
nahme über Annahme oder Ablehnung eine Zwischenverhandlung über einzelne Po-
sitionen des Etats mit dem Abgeordnetenhause eintreten läßt. Die Zwischenverhandlung
kann dergestalt stattfinden, daß die Etatskommissionen beider Kammern zu gemeinschaft-
licher Berathung zusammentreten und über das Ergebniß ihrer Verhandlungen an das
Plenum berichten, welches nunmehr seine Beschlüsse faßt. Oder das Herrenhaus sendet
den Etat unter Hervorhebung der einzelnen ihm anstößigen Positionen an das Ab-
geordnetenhaus zurück, worauf das letztere zu bestimmen hat, ob es jenen Bemerkungen
nachgeben wolle, und dann den Etat wieder an das Herrenhaus gelangen läßt, welches
nunmehr im Ganzen anzunehmen oder abzulehnen hat.
Während der Konfliktsperiode ist es zweimal — am 11. Oktober 1862 und am
23. Januar 1864 — vorgekommen, daß das Herrenhaus die Etatsvorlage in derjenigen
Fassung, in welcher sie aus den Berathungen des Abgeordnetenhauses hervorgegangen
und von diesem ihm übermittelt worden war, ablehnte, aber sie in ihrer ursprünglichen
Fassung annahm. Dies Verfahren war verfassungswidrig. Das Herrenhaus erhält
eben den Etat nicht in seiner ursprünglichen, sondern in derieuigen Fassung vorgelegt,
in welcher er aus den Berathungen des Abgeordnetenhauses hervorgegangen ist, und
hat ihn in dieser Fassung entweder im Ganzen anzunehmen oder im Ganzen ab-
zulehnen, ist aber nicht befugt, ihn durch Amendirung auf seine ursprüngliche Fassung
urückzuführen. Das einzige dem Herrenhaus verfassungsmäßig zustehende Mittel, seine
Ansicht zur Geltung zu bringen, war dies, daß es den ihm vom Abgeordnetenhause
übermittelten Etat annahm und gleichzeitig die ursprüngliche Fassung des Etats auf
Grund Art. 81 der Verfassungsurkunde zum Inhalt einer Adresse oder Petition machte.
Dann konnte die Krone den Etatsentwurf zurückziehen (siehe unten Anmerk. B.
zu Art. 64) und einen unter Berücksichtigung der Debatten in beiden Häusern aus-
gearbeiteten neuen Entwurf vorlegen, und wenn auch dieser im Abgeordnetenhause eine für
das Herrenhaus unannehmbare Gestalt erhielt, blieb dem Letzteren die Ablehnung un-
benommen. Das von dem Herrenhaus damals beobachtete Verfahren, welches zudem
die zu jedem Gesetz erforderliche Uebereinstimmung des Königs und nicht einer, sondern
beider Kammern nicht schuf, läßt sich hiernach nur als eine vom Rechtsboden sich
entfernende politische Demonstration bezeichnen.
3. Alle anderen Gesetzentwürfe können nach Wahl der Krone der einen oder der
anderen Kammer zuerst vorgelegt werden. Es fragt sich, ob die Staatsregierung auch
das Recht hat, ihre Gesetzentwürfe gleichzeitig in beiden Kammern einzubringen v. Rönne
(Bd. 1 § 89 Nr. 4, S. 359f f.) verneint es, während v. Schulze (Bd. 2 § 171 S. 20),
Bornhak (B. 1 S. 497), v. Stengel (S. 169) und Arndt (Anmerk.7 zu Art. 62, S. 126)
esbejahen, v. Rönne argumentirt aus Art. 64 Abs. 2, dessen Bestimmung mit dem Rechte gleich-
zeitiger Einbringung unvereinbar sei. Denn würde ein Entwurf gleichzeitig in beide Häuser ein-
gebracht, so könnte die Verwerfung desselben durch das eine Haus nicht die Wirkung hervor-