Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 73. 221 
B. Nach dem Vorgetragenen sind die Bestimmungen der Verfassungsurkunde über die Wahlen 
zum Hause der Abgeordneten noch nicht unbedingt und definitiv in Kraft getreten, son- 
dern soweit noch suspendirt, als sie von der Verordnung vom 30. Mai 1849 und den 
übrigen in Anmerk. A. genannten interimistischen Wahlgesetzen abweichen. Außerdem hat 
die Reichsgesetzgebung — Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874, Reichs-Gesetzbl. S. 45 — 
eingegriffen. 
Die Grundzüge des geltenden Rechts sind folgende. 
Das Haus der Abgeordneten geht aus allgemeinen Wahlen hervor. Wähler 
(activ wahlberechtigt) ist jeder selbstständige Preuße nach Vollendung des vierund- 
zwanzigsten Lebenslahres, der sich im Vollbesitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, 
keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln erhält und in der Gemeinde seit sechs 
Monaten seinen Wohnse oder Aufenthalt hat. Für die zum aktiven Heere gehörigen 
Militärpersonen, mit Ausnahme der Militärbeamten, ruht die Berechtigung zum WMahhn 
Eine Vereinigung der hiernach wahlberechtigt bleibenden Militärpersonen zu besonderen 
Militärwahlbezirken darf nicht stattfinden. Wählbar zum Abgeordneten (passiv wahl- 
berechtigt) ist jeder Preuße, der das dreißigste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz der 
bürgerlichen Rechte in Folge rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren und 
bereits ein Jahr lang dem Preußischen Staatsverbande angehört hat. Der Präsident 
und die Mitglieder der Oberrechnungskammer können nicht Mitglieder eines der beiden 
Häuser des Landtages (Art. 74 Abs. 2), und Niemand kann zugleich Mitglied des 
Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses sein (Art. 78 Abs. 4). Nicht erforderlich 
ist, daß der zu Wählende selbstständig ist und dem Wahlbezirke, in welchem er gewählt 
werden soll, angehört. Die Wahl 4 eine mittelbare (indirekte) und zerfällt in zwei 
Handlungen: die Wahl der Wahlmänner (Urwahl) und die Wahl der Abgeordneten 
durch die Wahlmänner. Zum Zwecke der Wahl werden die Wahlbezirke in Unter- 
abtheilungen (Urwahlbezirke) von mindestens 750 und höchstens 1749 Seelen zerlegt. 
Die Urwahl erfolgt nach dem Dreiklassensysteme. Die Wähler werden nämlich inner- 
halb des Urwahlbezirkes nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden Staats-, Ge- 
meinde-, Kreis-, Vezirks- und Provinzialsteuern — in den Hohenzollernschen Landen 
nach Maßgabe der direkten Staatssteuern — derartig in drei Abtheilungen eingetheilt, 
daß auf jede Abtheilung ein Drittheil der Gesammtsumme der Steuerbeträge aller Ur- 
wähler fällt. Diese Gesammtsumme wird berechnet gemeindeweise, falls die Gemeinde 
einen Urwahlbezirk für sich bildet oder in mehrere Urwahlbezirke getheilt ist; bezirks- 
weise, falls der Urwahlbezirk aus mehreren Gemeinden zusammengesetzt ist. Die erste 
Abtheilung besteht aus denjenigen Urwählern, auf welche die höchsten Steuerbeträge 
bis zum Belaufe eines Drittheils der Gesammtsteuer fallen. Die zweite Abtheilung be- 
steht aus denjenigen Urwählern, auf welche die nächst niedrigeren Steuerbeträge bis zur 
Grenze des zweiten Drittheils fallen. Die dritte Abtheilung besteht aus den am nie- 
drigsten besteuerten Urwählern, auf welche das dritte Drittheil fällt. Urwähler, welche 
zu einer Staatssteuer nicht veranlagt sind, wählen in der dritten Abtheilung. Jede 
Abtheilung wählt besonders und zwar ein Drittheil der zu wählenden Wahlmänner. 
Ist die Zahl der in einem Urwahlbezirke zu wählenden Wahlmänner nicht durch drei 
theilbar, so ist, wenn nur ein Wahlmann übrig bleibt, dieser von der zweiten Abtheilung 
zu wählen. Bleiben zwei Wahlmänner übrig, so wählt die erste uAbtheilung den einen, 
die dritte Abtheilung den andern. Die Abtheilungen können in mehrere Wahlverbände 
eingetheilt werden, deren keiner mehr als fünfhundert Urwähler in sich schließen darf. 
Die Wahlmänner missen dieselben Eigenschaften besitzen, welche die Ausübung des 
Stimmrechtes als Urwähler erfordert, und müssen demsenigen Urwahlbezirk, in welchem 
sie gewählt werden sollen, brauchen aber nicht auch derjenigen Abtheilung anzugehhren, 
von welcher die Wahl ausgeht. Auf je 250 Seelen ist ein Wahlmann zu wählen. Ihre 
Wahl erfolgt nach absoluter Stimmenmehrheit durch Stimmabgabe zu Protokoll. In 
gleicher Weise erfolgt durch die Wahlmänner die Wahl der Abgeordneten. 
Die Orte für die Wahlen der Abgeordneten sind zugleich mit den Wahlkreisen 
gesetzlich bestimmt. 
Die Zeit der Wahlen siehe Anmerk. B. zu Art. 75. 
Artikel 73. 
Die Legislaturperiole des Hauses der Abgecordueten wird auf drei Jahre 
festgesetzt.
	        
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