Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 74. 223 
schiebung der Einberufung die Wahlperiode beliebig zu verlängern. Sei die Frage 
in der Verfassungsurkunde auch nicht ausdrücklich zu Gunsten dieser Ansicht entschieden, 
so entspreche dieselbe doch allein dem Geiste der Verfassung, welche die Wahlperioden 
nach den Wahlakten gesetzlich abgegrenzt und jeder einseitigen willkürlichen Bestimmung 
der Regierung entzogen wissen wolle. 
Eine objektive Prüfung der Frage wird zu der Antwort kommen müssen, daß die 
Legislaturperiode mit dem Tage beginnt, an welchem die Wahlmänner die Wahlen der 
Abgeordneten vornehmen. Allerdings ist die Frage in der Verfassungsurkunde nicht 
ensscheeden, und aus dem „Geiste der Verfassung“ herauszuargumentiren, ist ein trüge- 
risches Verfahren, weil nur zu leicht dem Geist der Verfassung der eigene Geist unter- 
geschoben wird. Aber es ist unbestreitbar, daß die Mitglieder des Abgeordnetenhauses 
dieses sind nicht durch die Einberufung des Hauses Seitens des Königs, sondern durch 
den Wahlakt. Wenn sie aber Mitgkieer des Hauses der Abgeordneten bereits sind 
vor der Einberufung des Hauses, so ist es wirklich nicht verständlich, wie das „Haus“, 
d. h. der Inbegriff sämmtlicher Abgeordneten, existent werden soll erst durch die Einbe- 
rufung. Für die letztere, von der Staatsregierung angenommene Ansicht, wonach die 
Legisleturperiode erst gleichzeitig mit der ersten Sitzungsperiode begänne, läßt sich gar 
kein Rechtsgrund anführen, wogegen man bei ihrer Annahme zu Volgerungen kommt, 
welche unzweifelhaft falsch sind. Wenn z. B. einem Manne, der zum Abgeordneten ge- 
wählt ist, vor der ersten Einberufung des Hauses die bürgerlichen Ehrenrechte auf 
die Dauer von zwei Jahren aberkannt werden, so hört er nach § 33 des Strafges 
buches dadurch sofort auf Abgeordneter zu sein, weil er es schon durch den Wahlakt 
geworden war, während er nach der soeben zurückgewiesenen Ansicht nach Ablauf der zwei 
Jahre ohne Weiteres in das Haus eintreten könnte, weil er Abgeordneter erst nach 
Fällung des Urtheils geworden und durch das Urtheil nur behindert wäre, vor Ab- 
lauf der zwei Jahre seine Mitgliedschaft auszuüben (Strafgesetzbuch § 34 Nr. 4). Daß 
das Abgeordnetenhaus schon vor seinem ersten Zusammentreten, also vom Wahltage 
an existirt, geht schon hervor aus der oben S. 147, Anmerk. D. zu Art. 51 dargelegten, 
auch von Arndt (Anmerk. 6 zu Art. 51, S. 107) und v. Stengel (S. 86) behaupteten 
Befugniß der Krone, ein neu gewähltes Abgeordnetenhaus vor seinem ersten Zusammen- 
treten aufzulösen, denn ein Haus, welches noch nicht existirt, kann natürlich nicht aufge- 
löst werden. Hiermit stimmt auch überein, daß die Wahl der Abgeordneten durch die 
Wahlmänner für die ganze Monarchie an einem und demselben Tage stattzufinden hat 
(unten Anmerk. B. zu Art. 75). 
(I. Die Legislaturperiode dauert vom Tage der Wahl an, bis die fünf Jahre verflossen 
sind, also das gleiche Datum zum fünften Mal wiederkehrt, oder bis das Haus in Aus- 
übung der durch Art. 51 verstatteten Prärogative vom König aufgelöst wird. Auch 
im Falle der Auflösung des Hauses ist die Legislaturperiode vom Tage der Wahl des 
neuen Hauses an neu zu berechnen, keineswegs aber von dem Tage der wast des auf- 
elösten Hauses an, dergestalt, daß beide Versammlungen zusammen nur fünf Jahre zu 
sitzen hätten. Allerdings enthält die Verfassungsurkunde auch hierüber keine ausdrück- 
liche Bestimmung, aber eben so wenig macht sie einen Unterschied zwischen den beiden 
Fällen der regelmäßigen und einer außerordentlichen Wahl. Die neu gewählte Ver- 
sammlung hat nicht die Bestimmung, eine Fortsetzung und Ergänzung der aufgelösten 
zu bilden, sondern sie tritt statt derselben ein, bildet eine ganz neue Repräsentation, 
welche in keinem Zusammenhang mit dem aufgelösten Hause steht, mithin auch eine 
selbstständige Legislaturperiode in Anspruch zu nehmen hat. 
  
Artikel 74. 
Zum Abgeordneten der Zweiten Kammer ist jeder Preuße wähl- 
bar, der das dreißigste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz der bür- 
gerlichen Rechte in Folge rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses 
nicht verloren und bereits drei Jahre dem Preußischen Staatsverbande 
angehört hat. 
Der Präsident und die Mitglieder der Oberrechnungskammer 
können nicht Mitglieder eines der beiden Häuser des Landtages sein.
	        
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