232
J. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 78.
Im Jahre 1863 wurde er wiederum von der Regierung eingebracht und enthielt nun-
mehr die Bestimmung, daß die in das Haus der Abgeordneten gewählten Beamten,
deren Besoldung aus Staatsfonds erfolgt, die durch ihre Stellvertretung entstehenden
Kosten vom Tage ihres Eintrittes in das Haus ab bis zur Höhe ihrer Besoldung, aus
welcher die Kosten zu entnehmen, tragen sollten. Allerdings sei, so wurde von dem die
Vorlage vertretenden Regierungskommissar ausgeführt, der Beamte nach Art. 78 Abst. 2
berechtigt, während der Landtagssitzung seine Thätigkeit einzustellen, indeß daraus folge
nur, daß er dieserhalb nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne, nicht aber auch,
daß er für den betreffenden Zeitraum die Gegenleistung, nämlich sein Gehalt verlangen
könne. Auch im Civilrecht werde derienige der Gegenleistung verlustig, der wegen eines
Hindernisses in seiner Person zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten außer Stande sei.
Nun sei zwar das Beamtenverhältniß kein rein civilrechtliches, sondern auch staats-
rechtlicher Natur, dennoch dürften bezüglich der Geldansprüche der Beamten an den
Staat, in Ermangelung positiver Vorschriften, die Grundsätze des Civilrechtes heran-
gezogen werden. Das Abgeordnetenhaus lehnte den Entwurf mit großer Majorität ab.
Darauf erging folgender Beschluß des Staatsministeriums (Verwaltungs-Minist.-Bl.
S. 194, Just.-Minist.-Bl. S. 23):
Die Kosten der Stellvertretung für die aus Staatsfonds besoldeten Be-
amten während ihrer durch Annahme einer Wahl zum Hause der Abgeordneten
herbeigeführten Verhinderung in Verrichtung ihrer Amtsgeschäfte werden fortan
nicht mehr aus Staatsfonds bestritten, es sind vielmehr die Behörden von den
Ressortministern anzuweisen, von den zunächst fälligen Raten der Besoldung des
vertretenen Beamten die erforderlichen Beträge zur Deckung der Vertretungskosten
zurückzubehalten und zu verwenden.
Berlin, den 22. September 1863.
Königliches Staatsministerium.
von Bismarck. von Bodelschwingh. von Roon. Graf von Itzenplitz.
von Mühler. Graf zur Lippe. von Selchow. Graf zu Eulenburg.
Die entsprechenden Anweisungen wurden von den Ressortministern sofort ertheilt.
Mehrere dem Abgeordnetenhaus angehörende Beamte beschritten den Rechtsweg, wurden
aber schließlich von der obersten Instanz, dem Obertribunal, mit ihrer Klage abgewiesen.
Das Obertribunal nahm nämlich an, daß beim Mangel einer direkten Bestimmung die
Frage aus der rechtlichen Natur und dem Wesen des Beamtenverhältnisses entschieden
werden müsse. Dieses letztere habe eine staatsrechtliche Seite, soweit es den
Beamten zur Ausübung seiner Dienstfunktionen verpflichte, und eine privatrechtliche,
soweit es ihm einen Anspruch auf das Diensteinkommen gewähre. In letzterer Beziehung
müsse das Verhältniß nach privatrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden, es sei also
als ein quasi-kontraktliches aufzufassen, und es könnten somit analogisch die allgemeinen,
über Verträge geltenden Grundsätze, insbesondere die 88 369, 599 A. L. R., I. 5 an-
gewendet werden. Dem Beamten sei keineswegs Behufs Eintrittes in die Kammer ein
für alle Mal ein gesetzlicher Urlaub durch Art. 78 Abs. 2 ertheilt, vielmehr sei hier
gerade das Gegentheil ausgesprochen, das Gesetz gewähre überhaupt keinen Urlaub,
denn im Begriffe eines solchen liege, von dem Dienstvorgesetzten ertheilt zu werden,
während in dem hier in Rede stehenden Falle der Beamte durch seine Enutfernung vom
Amte ohne Urlaub nur „nicht fehle, nicht rechtswidrig handle“ (Obertribunal 7. März 1865,
Entscheidungen Bd. 52 S. 320, und 27. März 1865, Striethorst Archiv Bd. 57
S. 228). Im Abgeordnetenhause wurde die Sache erst 1868, nunmehr aber anhaltend,
wieder zur Sprache gebracht und ihre gesetzliche Regelung verlangt. Die Staatsregierung
verhielt sich ablehnend, beschloß aber, als der Justizminister Dr. Leonhardt Bedenken
gegen die gesetzliche Zulässigkeit des bisherigen Verfahrens erhob, am 2. März 1869,
die Kosten der etwaigen Hin-- und Rückreise des Stellvertreters, und am 24. Oktober 1869,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 22. September 1863, bis auf Weiteres überhaupt
die Kosten der Stellvertretung auf Staatsfonds zu übernehmen. (Verwaltungs-Minist.=
Bl. S. 189, 276 und Just.-Minist.-Bl. S. 234). Hierbei ist es geblieben, eine gesetz-
liche Negelung aber bis jetzt nicht erfolgt.
Bei der Beurtheilung der Streitfrage ist von folgender Erwägung auszugehen.
Der Staat vergütet die dem Einzelnen aus der Ableistung öffentlicher Pflichten,
wie der militärischen Dienstpflicht, des Schössen= und Geschworenendienstes u. s. w., er-
wachsenen Vermögensnachtheile überhaupt nicht oder doch nur im beschränkten Umfange
und schützt auch diejenigen Abgeordneten, welche kein Staatsamt bekleiden, nicht gegen
den ökonomischen Schaden, welcher für sie aus der Mitgliedschaft zum Landtage und aus