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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 78.
Eintritt der Beamten in den Reichstag zu umfassen und thunlichst auch die zu verneinende,
aber mehrfach bestrittene Frage zu beantworten haben, ob den Kommunalbeamten bei
ihrer Anstellung in bindender Weise zur Bedingung gemacht werden kann, kein Mandat
zum Landtage oder Reichstage anzunehmen.
Die Gründe, aus welchen die Mitgliedschaft zum Landtage verloren geht, sind nur zum
kleineren Theil für beide Kammern die gleichen.
Nach dem Gesetz, betreffend die Bildung der Ersten Kammer, vom 7. Mai 1853
(Art. 65 bis 68 Anmerk. A. oben S. 216) beruht die Mitgliedschaft des Herrenhauses
lediglich auf der Königlichen Berufung. Die näheren Bestimmungen enthält die Ver-
ordnung wegen Bildung der Ersten Kammer vom 12. Oktober 1854 (unten sub Nr. IV. 1).
Darnach kann das Recht auf Sitz und Stimme in der Ersten Kammer nur von Preu-
ßischen Unterthanen ausgeübt werden, welche sich im Vollbesitze der bürgerlichen Ehren-
rechte befinden, ihren Wohnsitz innerhalb Preußen haben und nicht im aktiven Dienste
eines außerdeutschen Staates stehen. Ferner ist dazu, außer bei den Prinzen des Kö-
niglichen Hauses, ein Alter von dreißig Jahren erforderlich. Endlich können nach dem
Gesetze vom 28. März 1872, Art. 74 Abs. 2 und Anmerk. A., oben S. 224, der Prä-
sident und die Mitglieder der Oberrechnungskammer nicht Mitglieder des Herrenhauses
sein. Verloren geht das Recht der Mitgliedschaft bei den präsentirten Mitgliedern
mit dem Verlust der Eigenschaft, in welcher die Präsentation erfolgt ist; bei allen Mit-
gliedern, wenn das Haus durch einen vom Könige bestätigten Beschluß das Anerkenntniß
unverletzter Ehrenhaftigkeit oder eines der Würde des Hauses entsprechenden Lebens-
wandels oder Verhaltens versagt, und durch Verzicht mit Zustimmung des Königs.
Das Recht der Mitgliedschaft zum Abgeordnetenhause geht verloren:
a) für sämmtliche Mitglieder mit dem Ablaufe der fünfjährigen Legislaturperiode bezw.
mit der früheren Auflösung des Hauses, doch sind nach Art. 75 in beiden Fällen
die bisherigen Mitglieder wieder wählbar; "1n
b) durch die freiwillige Niederlegung des Mandates:;
Tc) wenn ein Abgeordneter, welcher bis dahin kein besoldetes Staatsamt bekleidete, ein
solches annimmt oder, wenn er bisher ein solches bekleidete, in ein Amt eintritt,
mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist. Diese
Vorschrift des Art. 78 Abs. 3 ist ihrem Wortlaute nach auch für die gewählten Mit-
glieder des Herrenhauses bestimmt, jedoch, seitdem die Mitgliedschaft zum Herren-
hause ausschließlich auf der Königlichen Berufung beruht, nur noch auf das Haus
der Abgeordneten anwendbar. Denn ihr Zweck ist der, die Beeinflussung der Land-
tagsmitglieder durch Berufung in den Staatsdienst oder durch Gewährung eines
höheren Ranges oder Gehaltes Seitens der Staatsregierung insofern zu verhindern,
als der betreffende Wahlkreis die Entscheidung darüber erhält, ob er durch ein
solchergestalt begünstigtes Mitglied ferner vertreten sein will oder nicht. Sie gilt
wie für den cie so auch für den Militärstaatsdienst, jedoch nicht für Kommunal—-,
Kirchen- und Hofämter, auch nicht für den Eintritt in den Deutschen Reichsdienst, und
bezieht sich weder auf das etatsmäßige Einrücken in ein höheres Gehalt, noch auf
die Verleihung eines höheren Ranges ohne Aenderung der etatsmäßigen Stellung.
Uebrigens ist die Praxis oes Abgeordnetenhauses keine absolut sichere. So sind
Mandate für erloschen erklärt worden, weil den — bereits beamteten — Inhabern
derselben Nebenämter mit Bezug etatsmäßiger Remnnerationen oder Funktions-
zulagen verliehen wurden, das Mandat eines Landrathes, weil derselbe in gleicher
Eigenschaft in eine andere Provinz versetzt wurde, in welcher etatsmäßig eine höhere
Salarirung der Landräthe bestand, das Mandat eines Richters sogar deshalb, weil
derselbe durch seine Versetzung in eine andere Provinz in Verbindung mit einem
dadurch bedingten veränderten Anciennitätsverhältnisse sogleich in eine höhere Ge-
haltsstufe einrückte. Dagegen ist die Fortdauer des Mandates angenommen wor-
den in den Fällen, wo einem bereits pensionirten Beamten eine kommissarische
Beschäftigung und wo einem aktiven Beamten die kommissarische Verwaltung eines
höheren Amtes mit fixirter Remuneration übertragen worden war;
d) durch Ernennung zum Präsidenten oder Mitgliede der Oberrechnungskammer;
e) durch Verlust der Preußischen Staatsangehörigkeit;
l) wenn der Abgeordnete zum Mitgliede des Herrenhauses berufen wird und diese
Berufung annimmt;
8) wenn in den in den §§ 81, 83, 87 bis 90, 95 des Reichsstrafgesetzbuchs bezeichneten
Fällen des Hochverraths und Landesverraths auf Verlust der aus öffentlichen
Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt ist.