1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 81. 237
schaft verlustig erklärt werden, — was freilich noch nie geschehen ist. Dem Abgeordneten-
hause fehlt diese Befugniß, es hat überhaupt kein Mittel, seine Mitglieder zur Erfüllung
der Pflicht der Anwesenheit zu nöthigen, hat auch noch“ niemals die Erlangung solcher
Mittel auf dem Wege der Gesetzgebung erstrebt, la nicht einmal durch seine Geschäfts-
ordnung den renitenten Abgeordneten die Erhebung der Diäten abgeschnitten, obgleich
es hierzu, wie auch v. Rönne annimmt (Bd. 1 § 72 S. 319 Anm. 2 in tine), unzweifel-
haft auf Grund der ihm in Art. 78 ertheilten Autonomie befugt ist.
Artikel 81.
Jede Kammer hat für sich das Recht, Adressen an den König
zu richten.
Niemand darf den Kammern oder einer derselben in Person eine
Bittschrift oder Adresse überreichen.
Jede Kammer kann die an sie gerichteten Schreiben an die
Minister üiberweisen und von denselben Auskunft über eingehende
Beschwerden verlangen.
A. 7 beiden Häuser des Landtages treten in folgenden Fällen zu einer vereinigten Sitzung
zusammen:
a) Zwecks Ablegung des eidlichen Gelöbnisses Seitens des Königs beim Antritt seiner
Regierung, die Verfassung des Königreichs fest und underbrüchüc zu halten und
in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren (Art. 54 der Ver-
fassungsurkunde);
b) um über die Nothwendigkeit der Regentschaft zu beschließen (Art. 560);
c) um einen Regenten zu erwählen (Art. 57);
d) Zwecks Ableistung des Eides Seitens des Regenten nach Einrichtung der Regent-
schaft (Art. 58);
e) bei der Eröffnung und Schließung der Kammern (Art. 77).
Ueber die Ausübung der Präsidialbefugnisse und die Bureaubildung hierbei haben die
Präsidenten beider Häuser mit einander Vereinbarung zu treffen. In den Fällen b)
und c) muß jede Kammer beschlußfähig sein (Art. Vu findet für die Abstimmung eine
Durchzählung der Stimmen der anwesenden Mitglieder statt und wird der Beschluß
durch die abfolute Mehrheit dieser Stimmen gefaßt.
In einer Reihe von Fällen kann jedes Haus für sich allein, ohne Zustimmung
des anderen Hauses, Beschlüsse fassen oder selbstständig handeln. Nämlich:
a) Jedes Haus kann die Gegenwart der Minister verlangen (Art. 60) und die Aus-
übung des Königlichen Begnadigungsrechts zu Gunsten des von ihm angeklagten
Minsters beantragen (Art. 49);
b) jedes Haus kann das Recht der Ministeranklage ausüben (Art. 61);
c) jedes Haus kann Gesetze vorschlagen (Art. 64);
4) jedes Haus prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber, regelt
seinen Geschäftsgang und seine Disziplin (Art. 78);
e) jedes Haus hat das Recht, Adressen an den König zu richten, die an es gerichteten
Schreiben an die Minister zu überweisen und von denselben Auskunft über eingehende
Beschwerden zu verlangen (Art. 81);
f) jedes Haus hat die Befugniß, Behufs seiner Information Kommissionen zur Unter-
suchung von Thatsachen zu ernennen (Art. 32);:
g) jedes Haus hat über die Genehmigung zur Einleitung der Untersuchung oder zur
Verhängung der Haft gegen seine Mitglieder, sowie darüber zu beschließen, ob für
die Dauer der Sitzungsperiode ein gegen ein Mitglied eingeleitetes Strafverfahren
oder eine Verhaftung desselben aufgehoben werden soll;
n) jedes Kas wählt drei Mitglieder in die Staatsschuldenkommission (unten Art. 103
Anmerk. C.);
i) jedes Haus wählt drei Mitglieder in die statistische Centralkommission (Erlaß des
Ministers des Innern an die Königlichen Provinzialbehörden, betreffend die Zu-
sammensetzung, Stellung und Geschäftsf kh 2 der statistischen Centralkommission,
vom 21. ni 1870, Verwalt.-Minist.-Bl