I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 87a. 253
Artikel 87 a.
Bei der Bildung gemeinschaftlicher Gerichte für Preußische Ge-
bietstheile und Gebiete anderer Bundesstaaten sind Abweichungen von
den Bestimmungen des Artikels 86 und des ersten Absatzes im
Artikel 87 zulässig.
A. Preußen hat mit einer Reihe von Bundesstaaten Staatsverträge abgeschlossen, durch
welche für bestimmte, aus Preußischen und nicht Preußischen Gebietstheilen gebildete
Bezirke gemeinschaftliche Gerichte errichtet sind. Dies ist in doppelter Weise geschehen,
indem theils Preußischen Gerichten die Gerichtsbarkeit über nicht Preußische Gebietstheile
übertragen ist, so daß dem der Preußischen Justizhoheit unterworfenen Gericht nur eine
fremde Gerichtsbarkeit delegirt ist, theils wirkliche Kondominatsgerichte gebildet sind,
welche unter der Justizhoheit nicht eines, sondern mehrerer Bundesstaaten stehen und
Träger der Gerichtsbarkeit dieser sämmtlichen Bundesstaaten sind. Die staatsrechtliche
Zulässigkeit solcher Bildungen hat, da die Verfassungsurkunde in ihren Bestimmungen
über die richterliche Gewalt lediglich Preußische Gerichte voraussetzt, durch ein dieselbe
abänderndes Gesetz geschehen müssen, nämlich durch das
Gesetz, betreffend eine Zusatzbestimmung zuden Artikeln 86 und 87
der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Vom 19. Februar 1879.
(Ges.-Samml. S. 18:
Wir Wilhelm, von Gottes Hnaden König von Preußen cc.,
verordnen, mit Zustimmung beider Häuser des Landtages Unserer Monarchie,
was folgt:
Einziger Artikel.
Hinter den Artikel 87 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 wird
folgender Artikel 87 a eingestellt:
Bei der Bildung gemeinschaftlicher Gerichte für Preußische Gebietstheile
und Gebiete anderer Bundesstaaten sind Abweichungen von den Bestimmungen
des Artikel 86 und des ersten Absatzes im Artikel 87 zulässig.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Königlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 19. Februar 1879.
L. S " Wilhelm.
Graf zu Stolberg. Leonhardt. Falk. v. Kameke.
Friedenthal. v. Bülow. Hofmann. Graf zu Eulenburg.
Maybach. Hobrecht.
B. Eine Unterstellung außerpreußischer Gebietstheile unter Preußische Gerichte ist erfolgt:
1. Bei den Amtsgerichten nur insofern, als Lippe-Detmold'sche Gebietstheile — das
Amt Lipperode und das Stift Cappel — dem Bezirke des Amtsgerichts zu Lipp-
stadt angeschlossen sind (Vertrag zwischen Preußen und Lippe, betreffend die Be-
stellung des Oberlandesgerichts zu Celle zum Oberlandesgericht für das Fürsten-
thum Lippe und den Anschluß Lippischer Gebietstheile an den Bezirk des Amts-
erichts zu Lippstadt, vom 4. Januar 1879, Art. 7, 8, Ges.-Samml. S. 219).
2. Preußische Landgerichte sind zu Landgerichten über nicht Preußische Gebiets-
theile bestellt:
a) das Landgericht zu Saarbrücken bezüglich des Oldenburgischen Fürstenthums
Birkenfeld (Vertrag zwischen Preußen und Oldenburg, betreffend den Anschluß
des Fürstenthums Birkenfeld an den Bezirk des Landgerichts zu Saarbrücken
und des Oberlandesgerichts zu Cöln, vom 20. August 1878, Ges.-Samml.
1879 S. 165);
b) das Landgericht zu Erfurt bezüglich des Fürstenthums Schwarzburg--Sonders-
hausen (Vertrag zwischen Preußen und Schwarpburg Sondershaufsen, betreffend
den Anschluß des Schwarzburg-Sondershausen'schen Staatsgebiets an den Be-
zirk des Landgerichts zu Erfurt und des Oberlandesgerichts zu Naumburg,
vom 7. Oktober 1878, Ges.-Samml. 1879 S. 173);
c) das Landgericht zu Cassel bezüglich des Fürstenthums Waldeck und
d) das Landgericht zu Hannover bezüglich des Fürstenthums Pyrmont (Vertrag
wischen Preußen und Waldeck, betreffend die “. der Verwaltung der
ürstenthümer Waldeck und Pyrmont durch Preußen, vom 2. März 1887,