Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 88. 
zu übertragen. Andere Gegenstände der Verwaltung dürfen den ordentlichen Ge- 
richten nicht übertragen werden. 
Denn durch diese Vorschrift ist nicht ausgeschlossen, daß auch andere Verwaltungssachen 
zwar nicht den Justizbehörden als solchen, wohl aber Mitgliedern dieser Behörden aus- 
nahmsweise übertragen werden. 
Der gegenwärtige Rechtszustand ist folgender (vergl. Zust.-Minist.-Bl. 1893 S. 3): 
· 1. Ein in einem Hauptamte des unmittelbaren Staatsdienstes angestellter Beamter, 
also auch ein Richter, darf Nebenämter und Nebenbeschäftigungen nur übernehmen, so- 
weit dieselben mit den durch das Hauptamt an ihn gestellten Ansprüchen verträglich 
sind. Darüber, ob dies der Fall ist, hat die ihm vorgesetzte Dienstbehörde zu entscheiden. 
Die hiernach erforderliche Genehmigung kann jederzeit widerrufen werden, wofern sie 
nicht aus bestimmten Gründen entweder bleibend oder doch auf bestimmte Jahre ertheilt 
und dies in der Genehmigung ausdrücklich bemerkt ist. Dasselbe gilt bei der Verleihung 
eines Nebenamtes. Jedoch ist eine Genehmigung in denjenigen Fällen nicht erforderlich, 
in denen die Uebernahme des betreffenden Nebenamts eine absolute gesetzliche Pflicht 
des zu ihm Gewählten ist. Dahin gehören die Aemter als Mitglied der Gemeinde- 
vertretung oder des Gemeindekirchenraths einer evangelischen Kirchengemeinde (vergl. 
die verschiedenen Kirchengemeindeordnungen, z. B. Kirchengemeinde- und Synodalordnung 
für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen 
vom 10. September 1873 § 41, Ges.-Samml. S. 418; für die evangelisch-lutherische 
Kirche der Provinz Schleswig-Holstein, mit Ausschluß des Kreises Herzogthum Lauen- 
burg, vom 4. November 1876 §8 17, 26, Ges.-Samml. S. 416) oder des Vorstandes 
einer katholischen Kirchengemeinde (Gesetz über die Vermögensverwaltung in den katho- 
lischen Ercchengemeinden vom 20. Juni 1875 § 32, Ges.-Samml. S. 241). 
« 2. Als Nebenamt ist jede Thätigkeit neben dem Hauptamte zu betrachten, die sich als 
ein öffentliches Amt im Reiche oder Staate, in der Kommunalverwaltung, im Dienste 
von Kirche und Schule oder einer sonstigen öffentlich rechtlichen Korporation darstellt, 
insbesondere auch die Mitgliedschaft in verwaltenden (nicht bloß beschließenden) Körper- 
schaften, wie Stadtverordnetenversammlung, Kreisausschuß, Bezirksausschuß, Provinzial- 
ausschuß, Provinzialrath u. s. w. Darauf ob das Nebenamt mit Dienstbezügen ver- 
knüpft ist, kommt es nicht an; auch zu bloß ehrenamtlichen Stellungen, z. B. als 
Waisenrath, Mitglied städtischer Deputationen und Kommissionen u. s. w. ist die Ge- 
nehmigung erforderlich. Dagegen gilt nicht als Nebenamt die Mitgliedschaft von 
lediglich beschließenden Organen der Selbstverwaltung, wie z. B. Kreistag, Provinzall- 
klamam kirchlichen Synoden und den von solchen Synoden gebildeten Visitations- 
kommissionen. Wenn es aber auch zum Eintritt in solche Körperschaften der Genehmigung 
nicht bedarf, so ist der Beamte gleichwohl verpflichtet, soweit er durch seine Theilnahme 
an den Verhandlungen jener Organe seinem Hauptamte entzogen wird, Urlaub nachzu- 
suchen. Das Amt eines Schöffen oder Geschworenen ist gleichfalls für ein Nebenamt 
nicht zu erachten, doch sollen nach 8§8 31 Nr. 5, 85 des Gerichtsverfassungsgesetzes 
richterliche Beamte nicht dazu berufen werden. 
Als Nebenbeschäftigung, zu der es einer Genehmigung bedarf, wird jede, auch die 
unentgeltliche und auch die nur einmalige oder vorübergehende Thätigkeit angesehen, 
zu der ein Beamter sich gegenüber einer Reichsbehörde, einer anderen Staatsbehörde, 
einer Kommunal-, Kirchen= oder Schulbehörde, einer Korporation oder Gesellschaft oder 
einer einzelnen Privatperson rechtswirksam verpflichtet. Hierunter fällt die Mitglied- 
schaft im Vorstande oder Aufsichtsrathe einer Aktiengesellschaft, Genossenschaft oder 
sonstigen Erwerbsgesellschaft oder Korporation, die Uebernahme eines Syndikats bei 
einer solchen Gesellschaft, die Uebernahme von Agenturen für Versicherungsgesellschaften, 
die Uebernahme einer Testamentsvollstreckung, die Herausgabe von Zeitschriften, die 
Veranstaltung von Repetitorien, das Halten von Vorlesungen an Universitäten oder 
sonstigen Lehr- und Unterrichtsanstalten, die Vornahme von Revisionen der Geschäfts- 
führung oder der Bücher bei Erwerbsgesellschaften, Sparkassen u. s. w. Gleicher Weise 
ist die Genehmigung erforderlich zur Uebernahme von Kuratelen bei Familienfidei- 
kommissen und Stiftungen, und zwar auch dann, wenn in der Fideikommiß= oder 
Stiftungsurkunde ein nur allgemein bezeichneter Beamter einer bestimmten Justizbehörde 
zur Kuratel berufen ist. 
3. Die Uebernahme von Nebenämtern und Nebenbeschäftigungen ist in mehreren 
Jällen gesetzlich untersagt. 
a) Kein unmittelbarer Staatsbeamter darf Mitglied des Vorstandes, Aussichts= oder 
Verwaltungsrathes von Aktien-, Kommandit= oder Bergwerksgesellschaften sein oder in
	        
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