260 I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 91.
oder eines Hilfsarbeiters bei der Staatsanwaltschaft zu übernehmen; nach Beendigung
des ihnen ertheilten Auftrages treten sie bei demjenigen Gerichte oder derienigen Staats-
anwaltschaft wieder ein, wohin sie vor erhaltenem Auftrage überwiesen waren. Bei den
Landgerichten und bei den Strafkammern an den Sitzen der Amtsgerichte sind sie zur
Wahrnehmung richterlicher Geschäfte nur befugt, wenn sie als Hilfsrichter bestellt sind.
Auf Handelsrichter und Geschworene finden die Bestimmungen des Gerichtsver-
fassungsgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze
über das Richteramt keine Anwendung.
Artikekl 91.
Gerichte für besondere Klassen von Angelegenheiten, insbesondere
Handels= und Gewerbegerichte, sollen im Wege der Gesetzgebung an
den Orten errichtet werden, wo das Bedürfniß solche erfordert.
Die Organisation und Zuständigkeit solcher Gerichte, das Ver-
fahren bei denselben, die Ernennung ihrer Mitglieder, die besonderen
Verhältnisse der Letzteren und die Dauer ihres Amtes werden durch
das Gesetz festgestellt.
A. Der Titel VI. der Verfassungsurkunde und ebenso das Gerichtsverfassungsgesetz und das
Ausführungsgesetz zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze beziehen sich auf die eigent-
lichen Gerichtshöfe, also jetzt die Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte.
Nun giebt es aber, wie schon zu Art. 89 Anm. B. letzter Abs. bemerkt wurde, besondere
Gerichte, d. h. Gerichte, welche eine Gerichtsbarkeit ausüben, die an sich den ordentlichen
Gerichten zustehen würde, durch besondere gesetzliche Vorschriften aber an deren Stelle
anderen Gerichten mit abweichender Organisation übertragen ist. Die Gerichtsbarkeit in
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen darf nach Gerichtsverfassungsgesetz § 13
von besonderen Gerichten nur insoweit ausgeübt werden, als diese reichsgerichtlich bestellt
oder zugelassen sind. Sie kann aber — soweit besondere Gerichte für sie zugelassen sind —
durch die Landesgesetzgebung auch den ordentlichen Landesgerichten übertragen werden,
nach anderen als den durch das Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Zuständigkeits-
normen, mit einem von den Deutschen Prozeßordnungen abweichenden Verfahren, und
mit Zustimmung des Bundesraths kann durch Kaiserliche Verordnung das Reichsgericht
als letzte Instanz bestellt werden (Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetze § 3
Abs. 1, 2, zur Civilprozeßordnung § 3 Abs. 2, zur Strafprozeßordnung § 3 Abs. 2).
Zur Zeit bestehen in Preußen folgende besonderen Gerichte:
1. Der Geheime Justizrath (siehe Art. 59 Anmerk. D., oben S. 171).
2. Die Austräge.
Austräge sind aus Standesgenossen gebildete Gerichte, vor welchen die Häupter der
standesherrlichen Familien in Strafsachen einen privilegirten Gerichtsstand genießen.
Das Recht der Standesherren auf dieselben ist aufrechterhalten durch § 7 des Ein-
führungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze. Ueber die Zusammensetzung dieser Aus-
träge und das Verfahren vor ihnen bestimmt das Nähere § 17 der Instruktion vom
30. Mai 1820 wegen Ausführung des Ediktes vom 21. Juni 1815, die Verhältnisse
der vormals unmittelbaren Teutschen Reichsstände in der Preußischen Monarchie be-
treffend (Ges.-Samml. S. 81), das Gesetz, betreffend die Deklaration der Verfassungs-
urkunde vom 31. Januar 1850, in Bezug auf die Rechte der mittelbar gewordenen
Deutschen Reichsfürsten und Grafen, vom 10. Juni 1854 (Ges.-Samml. S. 363) und
§ 3 der Verordnung, die Wiederherstellung des privilegirten Gerichtsstandes für die
mittelbar gewordenen Deutschen Reichsfürsten und Grafen betreffend, vom 12. November
1855 (Ges.-Samml. S. 686). Die Mitglieder der standesherrlichen Familien, im Gegen-
satze zu den Häuptern derselben, haben den privilegirten Gerichtsstand verloren. Eben-
so kommen die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung
unverändert zur Anwendung, wenn ein Standesherr sein Recht auf Austräge nicht in
Anspruch nimmt.
3. Die Militärgerichte (siehe Art. 37, oben S. 117).
4. Die Rheinschifffahrtsgerichte.