Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 91. 
aus einem Vorsitzenden und dessen Stellvertreter, welche weder Arbeitgeber noch Arbeiter 
sein dürfen, und vier Beisitzern, welche je zur Hälfte von den Arbeitgebern und den 
Arbeitern aus ihrer Mitte gewählt werden. Die Berufung, deren Zulässigkeit durch 
einen 100 Mark übersteigenden Werth des Streitgegenstandes bedingt ist, und die Be- 
schwerde gehen an das Landgericht. 
Für Streitigkeiten der in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unter- 
irdisch betriebenen Brüchen und Gruben beschäftigten Arbeiter mit ihren Arbeitgebern 
können durch die Landescentralbehörde Gewerbegerichte gebildet werden, für deren Ver- 
fassung einzelne Besonderheiten gelten. 
Ist ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden, so kann bei Streitigkeiten 
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über Antritt, Fortsetzung oder Auflösung des Ar- 
beitsverhältnisses, über Aushändigung oder Inhalt des Arbeitsbuches oder Zeugnisses, 
sowie über Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Kranken- 
versicherungsbeiträge jede Partei die vorläufige Entscheidung durch den Gemeindevor- 
steher oder dessen Stellvertreter nachsuchen, dessen schriftlich abzufassende Entscheidung 
in Rechtskraft übergeht, wenn nicht binnen einer Nothfrist von zehn Tagen eine der 
Parteien Klage bei dem ordentlichen Gericht erhebt. 
Neben den reichsgesetzlich geordneten Gewerbegerichten bleiben die Königlichen Ge- 
werbegerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts zu Köln (Gesetz, betreffend die Königlichen 
Gewerbegerichte in der Rheinprovinz, vom 11. Juli 1891, Ges.-Samml. S. 311) und 
die auf Grund des — für die Zukunft durch § 78 des Reichsgesetzes aufgehobenen — 
§ 120 a Abs. 3 der Gewerbeordnung errichteten Schiedsgerichte als Gewerbegerichte im 
Sinne des Reichsgesetzes bestehen. 
In Fällen von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über die Be- 
dingungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses können die 
Gewerbegerichte als Einigungsamt angerufen werden und sollen dann mit je zwei 
Arbeitgebern und Arbeitern neben dem Vorsitzenden besetzt sein, vorbehaltlich der Zu- 
ziehung von Vertrauensmännern der Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Zahl. 
.Das Gerichtsverfassungsgeset, und somit auch die Vorbehalte in §8 13, 14 desselben, 
beziehen sich nur auf die streitige Gerichtsbarkeit. Außerdem bestehen aber noch mehrere 
aunnchsölch für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestimmte Gerichte, 
nämlich: 
1. Das Ministerium des Königl. Hauses (siehe Art. 59 Anmerk. D. oben S. 170). 
2. Die Dorsgerichte. 
Dieselben finden sich in den landrechtlichen Provinzen Ost- und Westpreußen, Branden- 
burg, Pammern, Schlesien und Sachsen. Sie sind zuständig, sofern Gefahr im Verzuge 
obwaltet, gerichtliche Handlungen, bei welchen es auf bloße Beglaubigung ankommt, 
vorzunehmen; Verträge gemeiner Landleute, welche nicht lesen und schreiben können, 
und Ehegelöbnisse gemeiner Landleute zu instrumentiren, Testamente und Kodizille 
bei Gefahr im Verzuge auf= und anzunehmen; in dringenden Fällen Siegelungen bei 
Todesfällen vorzunehmen; auch kann ihnen von den Gerichten die Aufnahne von 
Taxen und Inventuren aufgetragen werden. Sie bestehen aus dem Schulzen, mindestens 
zwei Schöffen und einem Gerichtsschreiber. Der Letztere kann bei der Auf= oder An- 
nahme letztwilliger Dispositionen durch einen Notar oder den Prediger des Orts ersetzt 
und braucht bei der Aufnahme von Taxen und Inventuren überhaupt nicht zugezogen 
zu werden. Nur in der Provinz Schlesien und der Provinz Sachsen giebt es voll- 
ständige, d. h. mit einem ständigen Gerichtsschreiber versehene Dorfgerichte. Die Dienst- 
aufsicht führt der Landgerichtspräsident, wogegen die eigentlichen Disziplinarbefugnisse 
den Verwaltungsbehörden zustehen. 
Die Schöffengerichte in den Bezirken der Landgerichte zu Neuwied und Limburg, 
.Die Ortsgerichte in einzelnen Theilen des Bezirks des Oberlandesgerichts zu Cassel, 
Die Feldgerichte im Bezirk des ehemaligen Herzogthums Nassau, 
Die Ortsgerichte in den ehemals Herzoglich Hessischen Gebietstheilen, 
Die Feldgerichte im Landbezirke der ehemaligen freien Stadt Frankfurt, 
Die Hypothekenämter im Gebiet des Rheinischen Rechts 
sind betheiligt an der Aufnahme der Immobiliarverträge und der Führung der Kon- 
trakten-, Stock- und Hypothekenbücher. Die ad 3, 4 und 8 werden mit dem Fortschreiten 
der Grundbuchregulirung nach und nach aufgehoben. 
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Gewisse Angelegenheiten, welche nicht zu den gerichtlichen Rechtsangelegenheiten gehören, 
werden von den dazu eingesetzten Behörden gleichwohl in den Formen eines gerichtlichen 
Verfahrens erledigt. Derartige Behörden sind die zur Handhabung der Disziplinarge-
	        
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