1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 86. 271
zugleich der besonderen Regelung, weil bei der scharfen Trennung der Ressorts Gericht
und Verwaltung keinen gemeinsamen Vorgesetzten haben, der die Zuständigkeitsstreitig-
keiten im Aufsichtswege schlichten könnte. Hier greift Art. 96 ein. Durch denselben
wird nicht vorgeschrieben, daß sowohl die Kompetenz der Gerichte, als auch die Kom-
petenz der Verwaltungsbehörden (und der Verwaltungsgerichte) stets nur im Wege der
Gesetzgebung bestimmt werden können, und daß, wie bezüglich der Gerichte nach Art. 89,
so auch bezüglich der Verwaltungsbehörden, das Königliche Verordnungsrecht hinsichtlich
der Bestimmungen über die Zuständigkeit vollständig ausgeschlossen sei. Bielmehr wird
sowohl nach der Stellung des Artikels in dem von der richterlichen Gewalt handelnden
Titel VI., als auch nach dem Zusammenhang der beiden Sätze desselben lediglich ange-
ordnet, daß die Grenzscheide der gegenseitigen Befugnisse der Gerichte und der Ver-
waltungsbehörden nicht im Wege Königlicher Verordnung, sondern nur durch Gesetz be-
stimmt werden, und daß bei hierüber entstehendem Streite ein besonderer, durch das
Gesetz bezeichneter Gerichtshof entscheiden solle.
Theoretisch genommen, ist jede Frage, welche nur nach festen Rechtsgrundsätzen ent-
schieden werden kann, von den Gerichten zu entscheiden. Aber dieser theoretische Stand-
punkt kann in der Wirklichkeit nicht festgehalten werden, wenn man nicht, worunter
auch die Justiz leiden würde, die Verwaltung der Justiz ganz unterordnen will. Es
ist nun eine der wichtigsten Aufgaben für den Staat der Gegenwart, die Grenze zwischen
Justiz und Verwaltung genau abzustecken und zugleich für die Wahrung des Rechtes
innerhalb der Verwaltung durch die Einführung und den Ausbau der Verwaltungsge-
richtsbarkeit zu sorgen.
Der zweite Theil der Aufgabe ist von dem Preußischen Gesetzgeber seit zwanzig
Jahren in die Hand genommen und schon zum großen Theil gelöst, an die Lösung des
ersten Theils aber kaum die Hand gelegt. Auf dem weiten Gebiete des Preußischen
Rechts giebt es keine einzige Materie, welche so weitschweifig, unübersichtlich und prin-
zipienlos geregelt oder vielmehr nicht geregelt ist, wie eben diese, ganz abgesehen davon,
daß die gesetzliche Geltung einzelner Bestimmungen zweifelhaft ist. Die Grundlage der
Kompetenzgesetzgebung sind die 88 35 bis 42 der Verordnung wegen verbesserter Ein-
richtung der Provinzial--, Polizei= und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 (Anlage
zur Instruktion für die Regierungen vom 23. Oktober 1817, Ges.-Samml. S. 249).
Eine Deklaration von § 36 ist gegeben durch die Kabinetsordre vom 4. Dezember 1831,
betreffend die genauere Beobachtung der Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiska-
lischen Rechtsverhältnissen (Ges.-Samml. S. 255). Für den Geltungsbereich des
Rheinischen Rechts ist ergangen der Staatsministerialbeschluß vom 20. Juni 1818, ent-
haltend die Anweisung für die Rheinischen Regierungen und Gerichte über die bis auf
anderweitige Verordnung von denselben zu beobachtenden Grenzen ihrer gegenseitigen
Amtsbefugnisse (publizirt in den Rheinischen Amtsblättern des Jahres 1818, mitgetheilt
z. B. auch in Oppenhoff, die Preußischen Gesetze über die Ressortverhältnisse zwischen
den Gerichten und den Verwaltungsbehörden, Berlin 1863), gewöhnlich genannt das
Rheinische Ressortreglement. Im Bezirk des ehemaligen Justizsenats zu Ehrenbreitstein
gilt das Gemeine Recht, aber nach einem Reskript des Ministers des Innern vom
30. September 1840 (Verwaltungs-Minist.-Bl. S. 283) ist das Rheinische Ressortregle-
ment auch daselbst anzuwenden. Das Ressortreglement hat an sich keine Gesetzeskraft,
ist aber sowohl von der herrschenden Praxis, als auch von dem Kompetenzgerichtshof
als maßgebend anerkannt. Für den ganzen Umfang der Monarchie sind erlassen das
Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen
vom 11. Mai 1842 (Ges.-Samml. S. 192), durch welches die §§ 38 bis 40 der Kabinets-
ordre vom 26. Dezember 1808 und ein großer Theil der Vorschriften des Rheinischen
Ressortreglements aufgehoben sind, und das Gesetz, betreffend die Erweiterung des Rechts-
weges, vom 24. Mai 1861 (Ges.-Samml. S. 241), welches den Rechtsweg in Beziehung
auf die Ansprüche der Staatsbeamten wegen ihrer Diensteinkünfte, in Beziehung auf
öffentliche Abgaben im Allgemeinen, auf die Stempelstener, aus Kirchen-, Pfarr= und
Schulabgaben eröffnet. Eine ausdrückliche Einführung der früheren Gesetze über die
Ausschließung des Rechtsweges in die Hohenzollernschen Fürstenthümer hat nicht statt-
gehabt, die Einführung ist aber nach Ansicht des Kompetenzgerichtshofes erfolgt durch
die Einführung der Preußischen Staatsverfassung und durch die Umgestaltung nicht
bloß der Hohenzollernschen Gerichte, sondern auch der Verwaltungsbehörden nach dem
Muster der Preußischen, unter Miteinführung der für diese ergangenen organischen Ge-
setze (Erkenntniß des Königlichen Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte
vom 7. November 1357, Just.-Minist.-Bl. 1858 S. 115). Durch die am 20. September