Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 97. 279 
klärt, so entscheidet auf Grund der schriftlichen Erklärungen der über ihre Kompe- 
tenz streitenden Behörden und nach Anhörung der Parteien in mündlicher Ver- 
handlung das Oberverwaltungsgericht. Das Gleiche gilt in dem Falle, wenn beide 
Theile sich in der Sache für unzuständig erklärt haben. In beiden Fällen werden 
weder ein Kostenpauschauantum noch baare Auslagen erhoben. Ebensowenig findet 
eine Erstattung der den Parteien erwachsenden Kosten statt. 
Artikel 97. 
Die Bedingungen, unter welchen öffentliche Civil= und Militär- 
beamte wegen durch Ueberschreitung ihrer Amtsbefugnisse verübter 
Rechtsverletzungen gerichtlich in Anspruch genommen werden können, 
bestimmt das Gesetz. Eine vorgängige Genehmigung der vorgesetzten 
Dienstbehörde darf jedoch nicht verlangt werden. 
A. Bis zum Erlaß der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden 
vom 26. Dezember 1808 (Anlage zur Instruction für die Regierungen vom 23. Oktober 
1817, Ges.-Samml. S. 248) unterstanden die Beamten dem allgemeinen Rechte (88 88 
bis 91 A. L. R. II. 10), und waren singuläre und beschränkende Normen des Prozeßver- 
fahrens nicht aufgestellt. Erst in Folge des § 47 der genannten Verordnung gelangten 
eine Reihe verschiedener Bestimmungen (Anh. 8§8§ 49, 101 bis 103, 239, 252, 254 zur 
Allgemeinen Gerichtsordnung) zur Entstehung, die jenes Prinzip durchbrachen, indem 
sie die Einleitung eines Strafprozesses gegen Beamte wegen durch Amts-- und Dienst- 
handlungen begangener Rechtsverletzungen an die vorgängige Prüfung und Beschluß- 
nahme der vorgesetzten Dienstbehörde banden, civilrechtliche Regreßklagen gegen sie 
zwar nach wie vor ohne Beschränkung zuließen, dabei aber die Gerichte verpflichteten, 
der vorgesetzten Dienstbehörde von der Einleitung solcher Klagen Nachricht zu geben 
und Gutachten von derselben über die in Betracht kommenden amtlichen Verhältnisse 
entgegenzunehmen. Für die Rheinprovinz, in welcher schon nach Französischem Rechte 
die gerichtliche Verfolgung der Agenten des Gouvernements wegen der auf ihr Amt 
bezüglichen Handlungen von einer Ermächtigung der Verwaltung abhängig war, wurden 
entsprechende Vorschriften gegeben in den §§ 36, 38 des Rheinischen Ressortreglements 
vom 20. Juni 1818 (Nrt. 96 Anmerk. B., oben S. 271). Dieselbe Richtung hielt die 
Gesetzgebung bis zum Jahre 1848 ein. Das Gesetz über den Waffengebrauch der Grenz- 
aufsichtsbeamten vom 28. Juni 1834 § 8 (Ges.-Samml. S. 83) und das Gesetz über 
den Waffengebrauch der Forst= und Jagdbeamten vom 31. März 1837 87 (Ges-Samml. 
S. 65) ließen die Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung im Fall der Verletzung 
einer Privatperson durch den Waffengebrauch der genannten Beamten zu, gaben aber 
der vorgesetzten Dienstbehörde ein Widerspruchsrecht und schrieben vor, daß solchenfalls 
die Sache nach den Vorschriften über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Ver- 
waltungsbehörden erledigt werden solle. Das Gesetz, betreffend das gerichtliche und Dis- 
zivlinarstrafverfahren gegen Beamte, vom 29. März 1844 (Ges.-Samml. S. 77) erklärte 
ie beiden Gesetze vom 28. Juni 1834 und 31. März 1837 für fernerhin gültig, ordnete 
aber an, daß die gerichtliche Untersuchung wegen eines Dienstvergehens oder Amtsver- 
brechens nur auf Antrag der vorgesetzten Dienstbehörde eingeleitet werden dürfe, und 
bestimmte, daß, wenn ein Beamter wegen im Amte verübter Ehrenkränkungen gerichtlich 
belangt werde, nach Beendigung der vorläufigen Ermittelungen und vor Eröffnung der 
förmlichen Untersuchung die Dienstbehörde des Beamten mit ihrer Erklärung gehört 
werden müsse, ob der Beamte sich einer Ueberschreitung der Amtsbefugnisse schuldig ge- 
macht habe. Schon durch § 3 der Verordnung über einige Grundlagen der künftigen 
Verfassung vom 6. April 1848 (oben S. 23) wurde das Gesetz vom 29. März 1844 
in Beziehung auf den Richterstand außer Kraft gesetzt. Noch weiter gehend stellte die 
roh e, Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848 Art. 94 als grundzgesetzliche 
orm auf: 
Es ist keine vorgängige Genehmigung der Behörden nöthig, um öffentliche 
Civil- und Militärbeamte wegen der durch Ueberschreitung ihrer Amtsbefugnisse 
verübten Rechtsverletzungen gerichtlich zu belangen. 
Bei der Revision der oktroyirten Verfassungsurkunde einigten sich die beiden Kam- 
mern wohl über den ersten Satz des jetzigen Art. 97, nicht aber über den von der
	        
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