10 Einleitung. § 1.
um dort die bisherige Verfassung und die Wünsche der „Wohlgesinnten"“ ken-
nen zu lernen; erst wenn ihre Berichte vorlägen, solle die Kommission ihr
Gutachten abgeben. Zugleich erklärte der Staatskanzler:
Seine Majestät wollen die künftigen Stände gern über die zu geben-
den Gesetze hören, aber Höchst Ihr bestimmter Wille ist, ihnen nur eine
berathende Stimme einzuräumen mit ausdrücklicher Ausschließung von
aller Einmischung in die Verwaltung.
Die Reise der Kommission — der Minister Beyme, Klewiz und Alten-
stein — erfolgte noch im Jahre 1817. Die überwiegende Mehrzahl der in
den Provinzen befragten, großentheils dem Landadel angehörenden Personen
wünschte Provinzialstände, viele dieselben ohne Reichsstände; eine nicht geringe
Minorität der letzteren erklärte, daß das Volk für eine reichsständische Ver-
tretung noch nicht reif sei. Manche der Befragten erklärten eine allgemeine
Landesverfassung mit Reichsständen einfach deshalb für nothwendig, weil der
König sie versprochen habe und das Königliche Wort eingelöst werden müsse.
Gleichzeitig hatten sämmtliche Regierungen dem Staatskanzler ausführliche
Nachrichten über die Geschichte der früheren Verfassungen ihrer Bezirke, sowie
eine Statistik der adeligen Familien, des Grundbesitzes und der Steuern der-
selben, endlich auch ein Gutachten über die beste Einrichtung des Kommunal=
wesens, der Kreistage und der Landtage zu ertheilen. Das auf diese Weise
gesammelte Material, welches der Kommission überwiesen wurde, ließ jeden-
falls das Eine mit Sicherheit erkennen, daß in dem neuen Preußen weder
der einheitliche Staatsgedanke bereits zum Durchbruch gekommen war, noch
unter der Bevölkerung über den einzuschlagenden Weg Einstimmigkeit herrschte.
Die so zahlreichen Aeußerungen und Gutachten waren überhaupt nur von ge-
ringem Werthe, weil ihnen kein bereits ausgearbeiteter Verfassungsplaun zu
Grunde lag. Es gereichte daher nicht zum sachlichem Nachtheil, daß die Berichte
der drei Minister nicht fertiggestellt wurden, da jedenfalls Altenstein und
Klewiz durch ihre Ministerien völlig in Anspruch genommen waren. Harden-
berg hielt aber an dem Gedanken einer Konstitution fest. Eine persönliche
Bereisung der Rheinprovinz im Winter 1817/1818 überzeugte ihn, wie er an
einen der drei Kommissäre schrieb, mehr und mehr, daß wegen einer der Na-
tion zu gebenden Verfassung sobald als möglich entscheidende Schritte geschehen
müßten.“ In Uebereinstimmung hiermit gab am 5. Februar 1818 der Preu-
ßische Gesandte am Bundestage die Erklärung zu Protokoll: „die auf der
Reise der drei Kommissäre gesammelten Materialien hätten nun bald die Sache
dahin vorbereitet, daß ständische Provinzialeinrichtungen wirklich in's Leben
treten könnten, wodurch zur Ausführung der Verordnung vom 22. Mai 1815
der wesentlichste Schritt geschehen sein werde. Die Preußische Regierung
werde so an der Hand der Erfahrung und nach Anleitung des erkannten Be-
dürfnisses fortschreiten, zuerst festzustellen, was das Wohl der einzelnen Pro-
vinzen fordere, und dann zu demjenigen weiter gehen, was sie für das ge-
meinsame Band aller Provinzen in einem Staate für nöthig und angemessen
erkennen werde.“ In der That wurden die Wünsche, daß doch endlich irgend
eine feste Entscheidung getroffen werde, immer lauter. Allerdings nicht zur
Zufriedenheit des Königs. Derselbe wies eine Bittschrift der Stadt und
Landschaft Coblenz um Verleihung der Verfassung durch Kabinetsordre vom
21. März 1818 mit der Motivirung zurück, daß weder die Verordnung vom