Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 97. 281 
hieß, „man hatte bei Abfassung des Gesetzes völlig den Ideengang verlassen, welcher 
nach der bisherigen Entwickelung der Gesetzgebung und nach dem Geiste der Verfassungs- 
urkunde der allein leitende hätte bleiben sollen. Denn man hatte nicht jur Sicherung 
der Verwaltung Bedingungen festgesetzt, unter denen die Gerichte oder die Staatsan- 
waltschaft fortan auch wegen Amtsdelikte selbstständig und ohne vorgängige Genehmi- 
gung der Verwaltungsbehörden sollten einschreiten können, sondern vielmehr den höheren 
Verwaltungsbehörden durch das neue Konfliktsverfahren die allerausgedehnteste Befugniß 
zum Einspruche gegen alle bei den Gerichten wider Beamte aus deren Amtshandlungen 
anhängig werdenden Verfolgungen verliehen.“ Auf der anderen Seite erfüllte das Ge- 
setz nicht die Erwartungen, welche seine geistigen Urheber auf seine praktische Handhabung 
gesetzt hatten. Der Kompetenzgerichtshof war, wie unumwunden anerkannt werden muß, 
bemüht, auch dieser neuen Aufgabe in objektiver Weise gerecht zu werden. Er erklärte 
nicht bloß oft gegen die Ansicht der Verwaltungsbehörden den Rechtsweg für zulässig, 
sondern fixirte, worin ihm schließlich ein Staatsministerialbeschluß folgte (Just.-Minist.= 
Bl. 1860 S. 426, Verwaltungs-Minist.-Bl. 1860 S. 197), seine Rechtsprechung dahin, 
daß die vorgesetzte Provinzial- oder Centralbehörde den Konflikt nur dann erheben könne, 
wenn nach ihrer Ansicht der Beamte innerhalb der Grenzen seiner Amtsbefugnisse ge- 
handelt oder eine ihm obliegende Amtshandlung nicht unterlassen habe. 
Im Jahre 1861 legte die Staatsregierung dem Landtage den Entwurf zu einem 
Gesetze vor, in welchem die Frage nach der gerichtlichen Verfolgung von Beamten wegen 
Amts-- und Diensthandlungen auf anderer Grundlage regulirt werden sollte. Das Gesetz 
vom 13. Februar 18544 sollte aufgehoben werden und folgendes an seine Stelle treten. 
Wenn nämlich ein Beamter wegen Ueberschreitung rc. seiner Amtsbefugnisse im Wege 
des Civil= oder Strafverfahrens gerichtlich verfolgt werden solle, so habe das Gericht 
bezw. der Staatsanwalt davon der vorgesetzten Provinzialbehörde des Beamten Nachricht 
zu geben. Diese sei dann befugt, sowohl sich in dem gerichtlichen Verfahren vertreten 
zu lassen, um über die in Betracht kommenden dienstlichen Verhältnisse die erforderlichen 
Erläuterungen zu geben, wie auch schriftliche Gutachten zu den Akten einzureichen. Dieses 
neue Gesetz sollte jedoch außer Anwendung bleiben auf die schon von dem Gesetz vom 
13. Februar 1854 ausgenommenen richterlichen und anderen Justizbeamten, ferner auch 
auf die Personen des Soldatenstandes, für welche das Gesetz vom 13. Februar 1854, 
und auf die Grenz-, Steuer-, Forst= und Jagdbeamten, für welche bezüglich des Waffen- 
ebrauchs die alten Gesetze vom 28. Juni 1834 und 31. März 1837 in Kraft verbleiben 
souten. Dieser Gesetzentwurf, zu dessen Begründung der Justizminister dem Herrenhause 
das oben angezogene Gutachten des Kompetenzgerichtshofes mittheilte, wurde von dem 
Abgeordnetenhause mit einigen Abänderungen angenommen, von dem Herrenhause aber 
verworfen. Seitdem ruhte die Sache, bis sie von der Reichsgesetzgebung wieder aufge- 
nommen wurde. Die Entwürfe zu den Reichsjustizgesetzen enthielten keine darauf be- 
züglichen Vorschläge, aber die Reichsjustizkommission, verlangte, wie Gneist es formulirte, 
„die normale Gerichtsverfassung für Civil= und Strafsachen auch gegen Beamte, also 
keine Exemtion der Beamten vom Gesetze.“ Denn, wie der Berichterstatter der Justiz- 
kommission, Miquöl, in seinem Bericht über das Gerichtsverfassungsgesetz erklärte: 
In anderen Ländern haben derartige Vorschriften niemals existirt; in den 
meisten Deutschen Staaten, wo die deutsche Rechtsentwicklung unangetastet geblieben 
ist von den aus der Napoleonischen Gesetzgebung herübergebrachten Tendenzen, haben 
solche niemals bestanden und doch sind dort alle Befürchtungen, welche man aufge- 
stellt hat, wegen vexatorischer und chikanöser Verfolgung der Beamten, wegen einer 
dadurch herbeigeführten Unerträglichkeit ihrer Lage, wegen Einschüchterung in Be- 
ziehung auf die energische Durchführung ihrer Amtspflichten, niemals eingetroffen. 
Hierbei konnte die Kommission darauf hinweisen, daß die Reichsgesetzgebung schon 
bezüglich der Reichsbeamten das Prinzip der Verantwortlichkeit vorbehaltslos aufgestellt 
hatte. Gleichwohl vermochte der Reichstag mit jener Forderung nicht durchzudringen 
und mußte sich damit begnügen, daß § 11 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsver- 
fassungsgesetze die Vorentscheidung auf die Feststellung beschränkte, ob der Beamte sich 
einer Ueberschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden 
Amtshandlung schubdig gemacht habe, und diese Vorentscheidung dem Oberverwaltungs- 
gericht übertrug. Diese Vorschrift trat am 1. Oktober 1879 ohne Weiteres in Kraft. 
in Gesetzentwurf der Session 1878/1879, welcher die Vorschriften des Gesetzes vom 
13. Februar 1854 denen des Reichsgesetzes, das Verfahren im Falle der Konfliktser- 
erhebung den Grundsätzen der Civilprozeßordnung und dem vor dem Oberverwaltungs- 
gerichte in Verwaltungsstreitsachen stattfindenden Verfahren anpassen sollte, wurde von
	        
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