Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 99. 
nach Vorlegung der Jahresrechnungen Indemnität ertheilt, dergestalt, daß es rück- 
sichtlich der Verantwortlichkeit der Staatsregierung so gehalten werden soll, wie 
wenn die Verwaltung in der erwähnten Zeit auf Grund gesetzlich festgestellter und 
rechtzeitig publizirter Staatshaushaltsetats geführt worden wäre. 
Laband setzt gerade den Fall, daß ein Etatsgesetz nicht zu Stande gekommen 
ist, und behauptet, der Wortlaut der Verfassung sage durchaus nicht, daß alle Ausgaben 
für jedes Jahr bewilligt werden müßten, sondern er schreibe nur vor, daß sie für 
jedes Jahr veranschlagt werden sollen. Dieses Argument, dessen bereits in der Sitzung 
der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses vom 30. September 1862 sich der da- 
malige Ministerpräsident bediente, und welches sich in seiner sonst sehr beachtenswerthen 
Darstellung des Etatsrechtes auch Arndt aneignet (S. 156 Nr. 1 und Anm. 7 
Art. 99, 8 165), ist schon seit langem als irrig nachgewiesen (v. Rönne Bd. J. 8 116 
S. 603 Anm. 4 und § 118 S. 633 Anmerk. 2). Denn nach Art. 99 sollen die Einnahmen 
und Ausgaben nicht bloß für jedes Jahr im Voraus veranschlagt, sondern sie sollen. 
auch auf den Staatshaushaltsetat gebracht, und letzterer soll jährlich durch ein Gesetz, 
d. durch Vereinbarung zwischen den geseplichen Faktoren, festgestellt werden; durch 
dieses Gebot, den Etat durch ein Gesetz festzustellen, wird dem Landtage dasselbe Recht 
beigelegt, welches in anderen Verfassungsurkunden mit „Bewilligung“ bezeichnet wird. 
Laband argumentirt nun in folgender Weise. Die Bestimmung, daß der Etat durch 
ein Gesetz festgestell werden solle, bedeute nur, daß er ebenso wie ein Gesetz oder im 
Wege der Gesetzgebung festgestellt werden solle. Der Etat sei also kein Gesetz, er habe 
lediglich die Bedeutung des dadurch bezeugten Einverständnisses zwischen der Regierung 
und der Volksvertretung über die Richtigkeit des Voranschlages und über die Noth- 
wendigkeit und Angemessenheit der darin aufgeführten Summen, bilde aber keineswegs 
die gesedliche Grundlage zur Leistung der Ausgaben, welche hinsichtlich der Mehrheit 
derselben auch ohne Etat vorhanden sei. Das Nichtzustandekommen des Etats habe da- 
her nur zur Folge, daß die Staatsregierung hinsichtlich jeder einzelnen Ausgabe ver- 
antwortlich bleibe und den Nachweis zu führen habe, daß die Ausgaben an sich in der 
bestimmten Höhe durch die Gesetze oder durch das Staatswohl erfordert worden seien. 
Die rechtliche Stellung der Staatsregierung sei bei nicht zu Stande gekommenem Etats- 
esetze hinsichtlich des gesammten Etats ganz analog wie bei zu Stande gekommenem 
Fiatsgeseyr nach Art. 104 der Verfassungsurkunde hinsichtlich der Etatsüberschreitungen 
und außeretatsmäßigen Ausgaben. Die Ertheilung der Genehmigung sei keineswegs 
ein parlamentarischer Gnadenakt, sondern die Volksvertretung rechtlich verpflichtet, alle 
diejenigen Ausgaben zu genehmigen, welche sie aus dem Voranschlage nicht hätte streichen 
dürfen. Hiernach ist Labands Ansicht einfach diese. Kommt ein den nschen der 
Staatsregierung entsprechender Etat zu Stande, so ist es gut. Kommt er nicht zu 
Stande, so ist es auch gut, die Staatsregierung führt die Finanzverwaltung ebenso, 
wie wenn dem Art. 99 vollständig Genüge geleistet wäre, und s nur verpflichtet, 
sämmtliche von ihr beschafften Ausgaben zu liquidiren und zu rechtfertigen; der ganze 
Unterschied zwischen einem Etat und keinem Etat besteht also im Grunde nur in 
einer Verschiebung der Beweislast. Warum die Regierung noch liquidiren und recht- 
fertigen soll, geht aus der Verfassungsurkunde, deren Art. 104 einen ordnungsmäßig 
festgestellten Etat voraussetzt, nicht hervor und wird auch von Laband nicht angegeben. 
Dagegen giebt Laband sofort die Antwort auf die nahe liegende Frage, ob denn die 
Staatsregierung überhaupt noch alljährlich einen Etat aufzustellen und vorzulegen 
nöthig habe. 
h Als bereits im ersten Jahre der Verfassungsurkunde das Zuftandekommen des 
Etats sich verspätete, faßte das Staatsministerium zur Beseitigung der Zweifel, ob und 
inwieweit es verfassungsmäßig statthaft sei, vor erfolgter gesetzlicher Feststellung des 
Etats über die in denselben vorläufig ausgenommenen Ausgabefonds zu disponiren, am 
16. Dezember 1850 den Beschluß (Stenogr. Berichte des Abgeordnetenhauses 1850/51 
Bd. I. S. 330): 
a) daß diejenigen Ausgaben der laufenden Verwaltung (Ordinarium), welche aus dem 
durch das abgelaufene Budgetgesetz festgestellten Staatshaushaltsetat des verflossenen 
Jahres unverändert in den Eutwurf zum Etat des neuangetretenen Jahres über- 
gangen sind, ohne besonderen Nachweis ihrer Nothwendigkeit sofort zahlbar gemacht 
werden können; 
b) daß alle übrigen in den Entwurf des neuen Staatshaushaltsetats vorläufig ausge- 
nommenen Ausgaben, also namentlich die der laufenden Verwaltung (Ordinarium) 
angehörigen Ausgabeerhöhungen und alle zur Bestreitung außerordentlicher Be- 
 
	        
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