Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 99. 
Staatshaushaltsetats für die nächste Etatsperiode über den Anfang derselben 
sich verzögert. 
Auf den einstimmigen Antrag der mit der Vorberathung beauftragten Kommission 
beschloß das Abgeordnetenhaus am 19. Januar 1864 die Ablehnung dieses Gesetzent- 
wurfes, indem es zugleich durch eine Resolution erklärte (Stenogr. Berichte 1863/61 
Bd. II. S. 766/781), 
daß der vorgelegte Gesetzentwurf keine Ergänzung, sondern eine direkte und voll- 
ständige Aufhebung des Art. 99 der Verfassungsurkunde enthalte, und daß derselbe 
weder durch ein bestehendes Bedürfniß veranlaßt, noch mit dem verfassungsmäßigen 
Rechte des Hauses der Abgeordneten bei Feststellung des Staatshaushaltsetats 
vereinbar sei. 
Durch die Thronrede vom 5. August und das Indemnitätsgesetz vom 20. Sep- 
tember 1866 erkannte die Staatsregierung die Ansicht des Abgeordnetenhauses von der 
Bedeutung des Art. 99 auch in dieser Beziehung als richtig an. Sie ließ durch ihre 
Vertreter wiederholt erklären, daß sie den Standpunkt des Staatsministerialbeschlusses 
vom 16. Dezember 1850 verlassen habe (Stenogr. Berichte des Abgeordnetenhauses 
1866/67 Bd. III. S. 1677 und Anlageband III. S. 740). Endlich die Thronrede, mit 
welcher der Monarch am 9. Februar 1867 die Session schloß (Stenogr. Berichte des 
Abgeordnetenhauses 1866/67 Bd. III. S. 2007), erkannte es dankbar an, 
daß die Landesvertretung durch die Ertheilung der Indemnität für die ohne 
Staatshaushaltsgesetz geführte Finanzverwaltung der letzten Jahre die Hand zur 
Ausgleichung des Prinzipienstreites geboten habe, welcher seil Jahren das Zu- 
ammenwirken der Staatsregierung mit der Landesvertretung gehemmt hatte, 
und sprach zugleich die Zuversicht aus, 
daß die gewonnenen #enne und ein allseitiges richtiges Verständniß der 
Grundbedingungen des Verfassungslebens dazu helfen werde, die Erneuerung ähn- 
licher Zustände in der Zukunft zu verhüten. 
Die Staatsregierung hat seitdem das Ausgabebewilligungsrecht des Landtages 
nicht wieder angezweifelt. Dagegen erklärt Laband bei den für dauernde Zwecke be- 
stimmten Etatsposten, insofern sie nur schon einmal bewilligt worden sind, das früher 
zwischen der Regierung und dem Landtage vereinbarte Budget so lange für bindend, bis 
eine neue Willenseinigung zwischen den maßgebenden Faktoren zu Stande gekommen 
sei. Dabei bezeichnet er die in dem Staatsministerialbeschlusse vom 16. Dezember 1850 
ausgesprochenen Grundsätze als das Erzeugniß eines „durch das politische Bedürfniß ge- 
schärften und geläuterten sicheren Blickes“ und behauptet, daß dieselben „nicht nur dem 
unabweisbaren praktischen Bedürfnisse, sondern im Wesentlichen auch den theoretischen 
Sätzen, welche sich aus der wahren Natur des Budgetrechtes ergeben, entsprechen.“ Es 
liegt auf der Hand, daß diese Behauptung ein schwerer Irrthum ist. In thatsächlicher 
Beziehung ergiebt sich ihre Irrigkeit aus dem Vorgetragenen. Soweit die rechtliche 
Auffassung in Frage steht, kommt die Staatsregierung ebensoweit, wenn sie sich durch 
ein vor Beginn des Etatsjahres erlassenes Gesetz, unter Vorbehalt der verfassungs- 
mäßigen Feststeung des Etats für das bevorstehende Jahr, ermächtigen läßt, die im 
Etat des Vorjahres vorgesehenen dauernden Ausgaben in den Grenzen der bei den ein- 
zelnen Kapiteln und Titeln bewilligten Summen aus den Einnahmen des bevorstehenden 
Jahres fortleisten zu lassen. Daß die theoretischen Sätze, welche sich aus der „wahren 
Natur des Budgetrechts“ ergeben, sich nicht mit den Grundsätzen des Ministerialbe- 
schlusses decken, ergiebt sich daraus, daß durch jene Grundsätze das verfassungsmäßige 
Mitwirkungsrecht der Volksvertretung zur Feststellung des Staatshaushaltsetats illu- 
sorisch gemacht wird; es ist doch unmöglich, daß das Budgetrecht durch die sich aus 
seiner wahren Natur ergebenden theoretischen Sätze vernichtet werde. Selbst v. Schultze, 
der sich im Uebrigen zu der Laband’'schen Lehre bekennt, vermag ihr hier nicht zu folgen, 
denn, wie es bei ihm heißt (Bd. II. 8 201, b, S. 221ff.): 
indem nach der Laband'schen Theorie das Nichtzustandekommen des Etats eigentlich 
gar nicht mehr als etwas Verfassungswidriges erscheint und durch das ohne wei- 
teres anerkannte Fortgelten des letzten Etatsgesetzes seine normale Regel erhält, 
fällt für die Regierung jedes zwingende Motiv hinweg, Alles aufzubieten, um aus 
diesem Zustande herauszukommen, und mit allen Kräften nach einem Einverständnisse 
mit der Volksvertretung zu streben. 
Dieser Vorwurf läßt sich aber wider die ganze Laband'sche Lehre erheben: sie 
vernichtet das Budgetrecht des Landtages, somit die Grundlage der Preußischen konsti- 
tutionellen Verfassung. Die Staatsregierung ist verfassungsmäßig befugt, dem von dem 
 
	        
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