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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 103.
sonderen Gesetzes, statt. Der Gesetzentwurf muß nach Art. 62 Abs. 3 zuerst dem Ab-
geordnetenhause vorgelegt werden. Eine Königliche Verordnung mit Gesetzeskraft ist
hier verfassungsmäßig nicht zulässig (Anm. A. 5 zu Art. 63, oben S. 208). Eine ohne diese
gesetzliche Grundlage ausgenommene Anleihe oder übernommene Garantie ist für den
Staat unverbindlich. Auch würde die Nachweisung einer versio in rem. einer Ver-
wendung zum Nutzen des Staates nicht genügen, um die wegen mangelnder Einwilligung
des Landtages für die Staatskasse unverbindliche Schuld in eine die öffentlichen Fonds
verpflichtende Anleihe zu verwandeln (v. Rönne B-Bd. I § 123 S. 664; Zachariä
Deutsches Staats- und Bundesrecht, 3. Aufl. Bd. II § 217 S. 481). Wie die Minister,
welche die Anleihe ausgenommen haben, würde auch die Hauptverwaltung der Staats-
schulden, falls sie sich an der Aufnahme der Anleihe durch Ausfertigung und Ausreichung
der Schulddokumente betheiligte, den Staatsgläubigern persönlich verhaftet sein. Arndt
(Anm. 4 zu Art. 103, S. 168) bestreitet dies. Der Art. 103 betreffe, so behauptet er,
lediglich das Verhältniß der Exekutive zur Legislative. Seine Nichtbeachtung sei eine
Verfassungsverletzung. Nach Außen hin seien Darlehns= und Bürgschaftsschulden für
den Staat verbindlich, wenn sie von der Staatsregierung kontrahirt seien; die Staats-
kasse könne daraus keinen Einwand entnehmen, daß Art. 103 nicht beobachtet worden.
Wäre es die Absicht der Verfassungsurkunde gewesen, die ohne gesetzliche Ermächtigung
aufgenommenen Anleihen oder übernommenen Garantien für nichtig zu erklären, so bhätt-
sie zum Mindesten die Form des Art. 48 gewählte „Anleihen bedürfen zu ihrer Giltig-
keit eines Gesetzes.“ Arndt übersieht hierbei ein Doppeltes. Die Verfafsungsurkunde
erklärt solche Anleihen und Garantien keineswegs für ungiltig oder nichtig, sondern nur
für unverbindlich für die Staatskasse; die Minister schließen ein an sich giltiges Geschäft
ab, verpflichten aber durch dasselbe nicht den Staat, sondern sich selbst. Sodann liegt
hier der Fall ganz anders, als wenn es sich um Ausgaben handelt, die nicht im Etat
genehmigt sind. Denn der Etat, wie er in der Gese sammlung publizirt wird, enthält
keine detaillirte Posten, sondern giebt nur die Wschiistem wogegen das in Art. 103
geforderte Gesetz ausdrücklich erklärt, daß die Anleihe ausgenommen, die Garantie über-
nommen werden darf, somit die Ermächtigung oder Nichtermächtigung der Staatsregierung
für jeden Dritten ersichtlich macht, so daß der Dritte nach der bekannten Warnung Jjura
vigilantibus scripta sunt“ sich nicht beklagen kann, wenn er durch das gleichwohl ein-
gegangene Geschäft Schaden leidet. Soll die Anleihe verzinst oder zurückgezahlt, die
Garantie eingelöst werden, so fehlt die gesetzliche Ermächtigung zu diesen Ausgaben:
dieselben dürfen nicht geleistet werden, der Landtag läßt sich also endgiltig gar nicht
umgehen.
Eine Anleihe kann gemacht werden, um das gestörte Gleichgewicht zwischen Aus-
gabe und Einnahme wieder herzustellen oder um Anlagen — z. B. Eisenbahnen, Kanäle
u. A. — zu ermöglichen, die produktiv wirken und ihre Bschaftungskosten demnächst
mittelbar oder unmittelbar zurückerstatten. Der Zweck ist somit verschieden. Die Kon-
trahirung einer Finanzschuld hat den rein finanziellen Zweck, ein Deficit zu decken, die
einer Anlageschuld soll positiv fördernd wirken. Staatsrechtlich kommt es aber nur
auf die Form, nicht auf den Zweck an. Anleihen und Zinsgarantien bedürfen in allen
Fällen der Zustimmung des Landtages, zu welchem finanziellen oder Anlagezwecke sie
auch bestimmt sein mögen. Anderweite Schulden darf die Staatsregierung auch ohne
gesetzliche Genehmigung kontrahiren, muß aber ihre Deckung im Etat suchen. — Es ist
die Unterscheidung gemacht worden, ob eine Anleihe zu Verwaltungs= oder Finanz-=
zwecken gemacht worden, indem im ersteren Falle sich dem eivilrechtlichen Verhältniß
des Staates zu seinen Gläubigern ein verwaltungsrechtliches beimische, welches die civil-
rechtliche Seite des Verhältnisses bedinge und beeinflusse, wogegen im letzteren Falle
das Verhältniß ein rein privatrechtliches sei; zur Kontrahirung von Verwaltungsschulden
sei ein Gesetz nicht nöthig. Diese Unterscheidung, welche sich übrigens mit Sicherheit
gar nicht durchführen läßt, wird von Arndt (Anm. 2 zu Art. 103, S. 167) und
v. Stengel (S. 249) zutreffend als staatsrechtlich irrelevant zurückgewiesen.
Die Anleihen sind bis 1867 durch die Seehandlung begeben worden und werden seit-
dem entweder an Bankhäuser überlassen oder zu öffentlicher Zeichnung ausgelegt. Die
Aufnahme erfolgt regelmäßig durch die Veräußernng eines entsprechenden Betrages von
auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen. Dabei wird dem Finanzminister die
Bestimmung darüber überlassen, wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu
welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchen Kursen die
Schuldverschreibungen verausgabt werden sollen, wogegen im Uebrigen wegen Ver-
waltung und Tilgung der Anleihe und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften