I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 103. 315
führung der Hauptverwaltung Kenntniß zu nehmen und die ihr gesetzlich obliegende
Kontrole wirksam zu führen. Die eingelösten verzinslichen Staatsschulddokumente wer-
den jährlich, nach erfolgtem Rechnungsschlusse, von der Kommission und von der Haupt-
verwaltung in gemeinschaftlichen Verschluß genommen und nach ihren litterae, Nummern
und Geldbeträgen zur öffentlichen Kenntniß gebracht. Sobald die Rechnungen der
Staatsschuldentilgungskasse von dem Landtage dechargirt worden sind, werden dic ein-
gelösten verzinslichen Staatsschulddokumente von Kommissarien der Kommission und der
Hauptverwaltung durch Feuer vernichtet und die litterae, Nummern und Geldbeträge
derselben öffentlich angezeigt.
Auf den von der Staatsschuldenkommission an die Kammern erstatteten Bericht
wird über diesen in beiden Häusern abgesondert berathen und von jedem derselben auf
den von seiner Finanzkommission darüber erstatteten Bericht Beschluß gefaßt, ob die
Decharge der Rechnungen der Staatsschuldentilgungskasse zu ertheilen sei. Wird die
Decharge beschlossen, so ertheilt jedes der beiden Häuser für sich hierüber dem Finanz-
minister eine von dem Präsidenten zu vollziehende Urkunde, welche den betreffenden
Kammerbeschluß enthält. Das Abgeordnetenhaus hat 1865 angenommen, daß es un-
statthaft sei, der Hauptverwaltung die Decharge zu ertheilen, wenn für das betreffende
Jahr ein Staatshaushaltsetat nicht vereinbart, beziehungsweise für die ohne Etatsgesetz
geleisteten Ausgaben eine Indemnität von Seiten der Staatsregierung nicht nachgesucht
und eine solche nicht bewilligt ist (v. Rönne Bd. I. § 124 S. 672.)
Die Deckung eines Deficits kann nicht nur durch Aufnahme einer Anleihe, sondern auch
durch Veräußerung von Staatsvermögen erfolgen, und es fragt sich daher, ob auch die
Veräußerung von Staatsvermögen nur auf Grund eines Eeseges statthaft ist. Diese
Frage ist zu einer erregten Erörterung gekommen, als die Staatsregierung durch Ver-
trag vom 10. August 1865 (Ges.-Samml. 1869 S. 351) die Rechte des Staates an
der Köln-Mindener Eisenbahn ohne Genehmigung des Landtages verkaufte. Die Staats-
regierung hat die Nothwendigkeit eines Gesetzes zur Veräußerung von Staatsgut be-
stritten. Sie sei, so hat sie ausgeführt, im Allgemeinen befugt, Staatseigenthum zu
veräußern, denn dies verbiete ihr kein Gesetz, auch nicht die Verfassungsurkunde, und
insbesondere werde nirgends zu einem solchen Vertrage die Zustimmung der Landes-
vertretung erfordert. Sie sei in Betreff der Veräußerung von Staatsvermögen nur
dahin beschränkt, daß sie dasselbe nicht verschenken dürfe, und im Uebrigen nur dafür
verantwortlich, daß sie von ihrer Befugniß einen den Interessen des Fiskus ensprechen-
den Gebrauch mache. Hiermit stimmen überein Arndt (Anmerk. 5 zu Art. 103,
S. 168), v. Stengel S. 243 und Laband (Das Budgetrecht nach der Preußischen Ver-
fassungsurkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, Berlin
1871 S. 26). Dagegen hat das Abgeordnetenhaus das Recht der Zustimmung der
Landesvertretung energisch in Anspruch genommen. Dies Verlangen ist am eingehendsten
begründet in einem Berichte Lasker s vom 11. Februar 1866 (Abgeordnetenhaus 1866/67
Stenogr. Berichte Anlageband S. 162, Aktenstück Nr. 51). Der gleichen Ansicht sind
v. Rönne (Bd. IV. 8§ 427 S. 763) und v. Schulze (Bd. II. § 209 S. 270).
Zunächst herrscht darüber kein Streit, daß die aus der Bewirthschaftung der
Staatsforsten — die Domanialländereien werden durch Zeitpacht genutzt — erzielten
Produkte (Holz. Wild) und die Erzeugnisse der staatlichen Gewerbsanlagen (Kohle, Eisen,
Salz, Porzellanwaaren u. s. w.) veräußert werden dürfen, ohne daß es einer speziellen
und ausdrücklichen Genehmigung Seitens der Landesvertretung bedarf; die durch den
Verkauf voraussichtlich erzielt werdenden Baareinnahmen werden in dem jährlichen
Staatshaushaltsetat aufgeführt und erhalten ihre gesetzliche Sanktion durch das Etats-
gesetz. Ebensowenig herrscht ein Streit darüber, daß die Genehmigung nicht erforderlich
ist zur Veräußerung derjenigen Gegenstände, welche außerhalb des eigentlichen Finanz-=
interesses zu einem bestimmten Zwecke der Staatsverwaltung dienen und theils beweglich
sind, wie kassable Akten, Bureau- und Gefängnißutensilien, Bücher, Maschinen, Dienst-
pferde, theils unbeweglich, wie Kasernen= und Exerzirplätze, Magazine, Gefängniß-, Ge-
richts-, Schul= und andere Staatsgebäude. Die Veräußerung dieser Gegenstände ist
regelmäßig aus Verwaltungsrücksichten geboten, weil dieselben entweder durch Abnutzung
unbrauchbar oder durch andere Beschaffungen, Veränderungen in der Behördenor-
ganisation und aus sonstigen thatsächlichen Gründen überflüssig geworden sind; sie wird
daher der Regierung nothwendig als bloße Verwaltungssache überlassen. Steht die
Veräußerung, wie es sehr oft der Fall ist, mit einer entsprechenden Neuanschaffung im
Zusammenhange, so wird der Erlös zur Deckung der durch die Neuerwerbung entstehen-