I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 103. 319
jener Zeit — wie der alte Moser sie nennen würde: Großvaters Olim Zeit — und der
Emanation der Verfassungsurkunde liegen zwei Jahrhunderte des absoluten Regimentes,
während derer die Stände nicht gefragt worden sind, und das Edikt vom 17. September
1808 hat zwar die Zustimmung der Stände eingeholt Behufs Aufhebung des Edikts
vom 13. August 1713, aber die Zulässigkeit der Veräußerung selbst nicht an jene Zu-
stimmung gebunden. Wenn, wie v. Schulze betont, alle anderen seit 1818 in Deutsch-
land erlassenen Verfassungsurkunden ßes ausdrücklich aussprechen, daß das Kammer-
gut in seinem wesentlichen Bestande zu erhalten sei und daher ohne Einwilligung der
Stände weder durch Veräußerung vermindert noch mit Schulden oder sonst mit einer
bleibenden Last beschwert werden dürfe, so mag zugegeben werden, daß „sich hier eine
unzweifelhafte, auf geschichtlicher Grundlage ruhende, wohlbegründete Rechtsüberzeugung
des Deutschen Volkes ausspricht.“ Aber für Preußen besagt eine zweihundertjährige ge-
schichtliche Grundlage das Gegentheil, und daß jene Rechtsüberzeugung soweit auf Geltung
Anspruch machen könne, als ihr nicht ausdrückliche Gesetzesnormen entgegenstehen, kann
nicht zugegeben werden; wäre dies der Fall, so wäre es nicht nöthig gewesen, der
Ueberzeugung in den anderen Verfassungsurkunden Ausdruck zu geben. Vielmehr läßt
umgekehrt das Schweigen der Preußischen Verfassungsurkunde gegenüber dem Sprechen
der anderen Verfassungsurkunden darauf schließen, daß jene Einwilligung nicht habe für
erforderlich erklärt werden sollen. Uebrigens macht eine Rechtsüberzeugung allein kein
Recht. Die fernere Aufstellung, daß Veräußerungen der Substanz keine zur Verwaltung
oder Administration im gewöhnlichen Sinne des Wortes gehörigen Akte sind, ist völlig
richtig, aber nur auf dem Boden des Privatrechts, nicht auch auf dem des Staatsrechts,
da die Rechte und Pflichten des Monarchen und seiner Organe nicht nach den im Civil-
recht wurzelnden Rechten und Pflichten eines Verwalters oder Fideikommissars bemessen
werden dürfen. In der auf die Eisenbahnen bezüglichen Spezialgesetzgebung sieht v. Schulze
„eine Anerkennung des allgemeinen, staatsrechtlich korrekten Prinzips von Seiten der Re-
gierung, da durchaus kein Grund ersichtlich, warum gerade bei „Veräußerung von Eisen-
bahnen ein singuläres Recht zur Anwendung kommen sollte.“ Mit größerer Folge-
richtigkeit läßt sich daraus, daß die Veräußerung der Eisenbahnen ohne Genehmigung
der Volksvertretung ausdrücklich untersagt ist, schließen, daß die Veräußerung des anderen
Staatsvermögens unbeschränkt zulässig sei, denn wozu wäre sonst jene spezielle Unter-
sagung nothwendig? Die Singularität der Untersagung hat übrigens darin ihren Grund,
daß es bisher eben nur bei diesem erwerbenden: Vernogen dem Landtage möglich ge-
wesen ist, durch eventuelle Verweigerung der Zustimmung zu den Eisenbahngesetzen die
Regierung zur Zubilligung der Untersagungsklausel zu nöthigen. Den gewichtigsten
Grund für ihre Ansicht entnehmen v. Rönne und v. Schulze dem Umstande, daß sonst
das Budgetrecht der Landesvertretung schwer beeinträchtigt werde. „Es hieße, den
Gründern der Verfassung eine Kopflosigkeit zutrauen, wenn man annehmen wollte, sie
hätten die Veräußerung des Staatseigenthums der Exekutive völlig freigegeben, die
Aufnahme von Darlehen dagegen von der Genehmigung der Kammern abhängig machen
wollen, während in der That beide Akte, Verminderung des staatlichen Aktivvermögens
und Vermehrung des staatlichen Passivvermögens, ganz gleichwerthig sind. Wäre der
Staatsregierung die unbedingte Freiheit der Veräußerung alles werbenden Staatseigen-
thums in die Hand gegeben, so könnte sie sich durch Verkauf aller gewerkichen
und Handelsetablissements nach Belieben viele Millionen verschaffen, wodurch sie sich
von dem verfassungsmäßigen Einflusse der Volksvertretung ganz frei machen könnte.
Mit diesem Zugeständniß an die Regierung wäre das Budgetrecht der Volksvertretung
nicht etwa bloß gesetzlich beschränkt, sondern so gut wie vernichtet.“ Die letztere Be-
hauptung ist insofern übertrieben, als das aus den Verkäufen erzielte Geld nicht ohne
Genehmigung des Landtages verausgabt werden darf, aber im Uebrigen haben v. Rönne
und v. Schulze Recht, mehr Recht allerdings, als sie selbst geglaubt haben. Denn in
der That war es ein schweres Versehen, ungeachtet des Vorganges der anderen
Deutschen Verfassungen diese Materie in der Verfassungsurkunde nicht grundsählich zu
regeln, fast ein ebenso schwerer Fehler, wie der, eine Verantwortlichkeit der Minister
zu begründen, ohne zugleich das Ministerverantwortlichkeitsgesetz zu beschließen. Dieses
Versehen ermöglicht der Regierung, durch Veräußerung der neueren Domänen und
Forsten, sowie, mit Ausnahme der Eisenbahnen, alles werbenden Staatseigenthums sich
viele Millionen zu verschaffen und dadurch den verfassungsmäßigen Einfluß der Volks-
vertretung erheblich zu mindern. Das läßt sich durch juristische oder gar politische
Deduktionen nicht ändern. Es muß eben als eine allerdings inkonstitutionelle Thatsache
anerkaunt werden, als ein Widerspruch zum Etatsrecht des Landtages, dessen Bescitigung