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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 104.
dem Landtage vorgelegt werden müssen. Dies ist gesetzliche Norm geworden durch § 19
Abs. 3 des Gesetzes vom 27. März 1872, welcher bestimmt:
Eine Nachweisung der Etatsüberschreitungen und der außeretatsmäßigen
Ausgaben ist jedesmal im nächsten Jahre, nachdem sie entstanden sind, den Häusern
des Landtages zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen. Die Erinnerungen
der Rechnungslegung werden durch diese Genehmigung nicht berührt.
Die Etatsüberschreitungen werden daher gesondert nachgewiesen und vor der all-
gemeinen Rechnung alljährlich nach erfolgtem Rechnungsschluß in der nächsten ordent-
lichen Session des Landtages vorgelegt. Erforderlich ist die Genehmigung beider Häuser,
und zwar muß, wie v. Rönne (Bd. I. § 117 S. 621) mit Recht bemerkt, diese Ge-
nehmigung beider Häuser erfolgt sein, ehe eines der beiden Häuser zur Entlastung der
Staatsregierung wegen der allgemeinen Rechunng schreitet, da die Etatsüberschreitungen
einen integrirenden Theil der allgemeinen Rechnung bilden und das eine Haus den
Entschlüssen des anderen Hauses über die Genehmigung der Ueberschreitungen nicht vor-
greifen darf. Daß die beiden Häuser ihre Genehmigung in derselben Session ertheilen,
wie v. Rönne meint, ist nicht vorgeschrieben; eine Heranziehung des Begriffes der Kon-
tinuität ist hier ganz unmöglich (Anmerk. B. zu Art. 77, oben S. 227). Die Form,
in welcher die Genehmigung ertheilt wird, ist die, daß der die Ratihabition aussprechende
Beschluß dem Staatsministerium zugefertigt wird. Die Ansicht v. Rönne's, daß die
Genehmigung korrekter Weise in der Form eines Gesetzes ersolgen müsse, beruht auf
der unzutreffenden Ansicht, daß die Genehmigung eigentlich ein Nachtragsetat sei.
Die Folgen der Versagung der Genehmigung sind nicht gesetzlich bestimmt. Ein
Ministerverantwortlichkeitsgesetz existirt nicht, ein civilrechtliches Klagerecht auf Refun-
dirung des zu viel Verausgabten steht dem Landtage nicht zu. Für dritte Personen
begründet, da die Staatsregierung den Staat vertritt, die Genehmigung oder Nicht-
genehmigung als rein interner Akt der Staatsgewalten weder Rechte noch Pflichten,
wofern nicht ausnahmsweise in dem publizirten Hauptetat die Befugniß der Staats-
regierung so spezialisirt worden ist, daß sie auch ohne Kenntnißnahme der nicht publi-
zirten Spezialetats sachlich und ziffernmäßig auf der Hand liegt. Uebrigens hat bisher
die thatsächliche Genehmigung aller Ueberschreitungen den Uebergang der Meinungs-
verschiedenheit zu einem des praktischen Austrages bedürfenden Streit verhütet.
Ueber den Umfang des Begriffes „Etatsüberschreitung“ hat erst der § 19 des
Gesetzes vom 27. März 1872 Sicherheit geschaffen. Danach sind Etatsüberschreitungen
im Sinne des Art. 104, bedürfen also der Genehmigung des Landtages, auch wenn sie
durch Königliche Kabinetsordre justifizirt worden sind, „alle Mehrausgaben, welche gegen
die einzelnen Kapitel und Titel des nach Art. 99 festgestellten Haushaltsetats oder gegen
die von der Landesvertretung genehmigten Titel der Spezialetats stattgefunden haben,
soweit nicht einzelne Titel in den Etats als übertragbar ausdrücklich bezeichnet sind und
bei solchen die Mehrausgaben bei einem Titel durch Minderausgaben bei anderen aus-
geglichen werden.“ Unter dem Titel eines Spezialetats ist hier „jede Position zu ver-
stehen, welche einer selbstständigen Beschlußfassung der Landeswvertretung unterlegen hat
und als Gegenstand einer solchen im Etat erkennbar gemacht worden ist.“ Als Mehr-
ausgaben gelten nach der Praxis auch verspätete oder verfrühte Verrechnungen, da aus
den Etatsfonds nur die Ausgaben desjenigen Jahres bestritten werden sollen, für wel-
ches sie bestimmt sind. Dagegen gehören zu den Etatsüberschreitungen nicht diejenigen
Ausgaben, welche sich an keinen Titel des Etats angeschlossen haben, sondern außerhalb
des Etats gemacht worden sind. Diese werden daher mit den Etatsüberschreitungen
nicht verbunden, sondern unter der Rubrik „sonstige außeretatsmäßige extraordinäre
abgesondert nachgewiesen, beide übrigens in der Sache gleichmäßig be-
andelt.
Eine eigenthümliche Stelle im Etatsrechte kommt den Einnahmen zu. Auf der
einen Seite schreibt Art. 99 der Verfassungsurkunde auch für sie die etatsmäßige Be-
willigung vor und werden sie in der allgemeinen Rechnung dem Landtage zur Ent-
lastung vorgelegt. Auf der anderen Seite stehen die einzelnen Einnahmequellen mit
Ausnahme des lukrativen Erwerbes aus Schenkungen und Erbschaft fest, kann die Auf-
nahme ihrer muthmaßlichen Erträge in den Etat weder von der Regierung noch von
dem Landtage abgelehnt, müssen insbesondere die bestehenden Steuern und Ab-
gaben auch ohne ihre Einstellung in den Einnahmectat gezahlt werden, ist endlich die
Einstellung in den Etat bezüglich der Summenhöhen nur ein gemuthmaßter Auschlag,
ohne eine Verpflichtung der Staatsregierung zur Erzielung eben dieser Summe be-
gründen zu wollen. Materiell hat also der Landtag nur die einzelnen Einnahmcquellen