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1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 108.
Hierzu stimmt allerdings nicht, daß bei der Revision der Verfassungsurkunde das
Amendement des Abgeordneten, v. Keller: „Es kann keine Abänderung der Verfassung
anders, als durch ein auf solche Abänderung der Verfassung besonders gerichtetes Ver-
fassungsgesetz geschehen“", abgelehnt wurde. Auch hat nach v. Rönne's eigenem Zeugniß
die Praxis des Landtages sich im Allgemeinen dahin gestaltet, die Berathung des der
Verfassungsurkunde zuwiderlaufenden Spezialgesetzes nicht für unzulässig zu erachten,
jedoch nach deren Beendigung und vor dem Beschluß über die Annahme des Gesetzes
im Ganzen in Erwägung zu ziehen, ob die gefaßten Beschlüsse eine Abänderung der
Verfassungsurkunde voraussetzen, und welche, und sodann ein diese Abänderung in sich
begreifendes Lerfassungszufazeset auf dem in Art. 107 bezeichneten Wege zu beschließen.
Die am tiefsten greifende Abänderung der Verfassungsurkunde, nämlich die Annahme
der Verfassung des Norddeutschen Bundes, ist erfolgt, ohne daß vorher oder gleichzeitig
oder nachher die entgegenstehenden Artikel der Verfassungsurkunde oder die Verfassungs-
urkunde im Allgemeinen formell abgeändert worden sind; das Publikationspatent über
die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 24. Juni 1867 (Ges.-Samml. S. 817)
gedenkt der Preußischen Verfassungsurkunde mit keinem Worte. So muß man mit
v. Schulze (Bd. II. § 177 S. 56), Arndt (Anmerk. 3 zu Art. 107, S. 177), Born-
ak (Bd. 1. S. 528) und v. Stengel (S. 171) sich trotz v. Rönne's eindringlichen
lusführungen zu der Ansicht bekennen, daß eine jede Verfassungsänderung rechtlich
als giltig zu erachten ist, wenn sie unter Beobachtung des Art. 107 beschlossen worden
ist, muß dies um so mehr, als, wic oben ausgeführt, das einen Artikel der Ver-
fassungsurkunde abändernde Gesetz auch dann formell unanfechtbar ist, wenn es unter
J der Vorschrift des Art. 107 zu Stande gekommen, also verfassungs-
widrig ist.
Bei bloßen authentischen Interpretationen und ebenso bei den Inhalt der Verfassungs-
urkunde gar nicht berührenden Zusatzbestimmungen zu derselben braucht die in Art. 107
vorgeschriebene Form nicht eingehalten zu werden. Dagegen ist dies nothwendig zur
Aufhebung der Zusatzbestimmungen, wenn dieselben für einen Theil der Verfassungs-
urkunde erklärt sind.
.Art. 107 betrifft buchstäblich nur die Abänderung der Verfassungsurkunde, nicht deren
Aufhebung in toto. Daher hält v. Rönne letztere für verfassungsrechtlich unmöglich,
iebt jedoch zu, daß dies auf Grund der Vereinbarung der Krone mit einer sog. kon-
tituirenden oder Nationalversammlung allerdings rechtlich geschehen könne (Bd. II. §. 158
S. 364 Anm. 1). Der Unterschied ist doch wohl mehr nur ein scheinbarer, denn die
Einberufung der Versammlung und ihre Rompetenz könnte nur auf Grund eines Ge-
setzes, also unter Zustimmung des Landtages erfolgen, welches Gesetz, weil die
Verfassungsurkunde keine solche Nationalversammlung als zur Mitwirkung bei der
Schaffung von Gesetzen befugt kennt, unter Beobachtung des Art. 107 entstehen müßte.
Da ist es doch am einfachsten, wenn das Abgeordnetenhaus aufgelöst oder wenn bis zum
Ablauf seiner Legislaturperiode gewartet wird und nunmehr die neuen Wahlen unter
ausdrücklicher Hinweisung auf die beabsichtigte Aufhebung der Verfassungsurkunde aus-
zeschrieben werden. Das Argument v. Rönne's schlägt schon deshalb nicht durch, weil
ann auch eine Aufhebung einzelner Artikel der Verfassungsurkunde ohne Ersetzung durch
anderweite Bestimmungen, z. B. die Aufhebung der Art. 15, 16, 18, rechtlich unzulässig
wäre. Das will v. Rönne natürlich nicht behaupten, und somit reduzirt sich seine An-
sicht daraus, daß die Verfassungsurkunde nicht auf einmal durch ein einziges Gesetz, wohl
aber nach und nach durch mehrere Gesetze aufgehoben werden könne. Auch v. Schulze
(Bd. II. § 178 Nr. 1 am Schluß, S. 59) erklärt, daß „die ganze Verfassungsurkunde
auf verfassungsmäßigem Wege abgeschafft werden kann“.
Artikel 108.
Die Mitglieder der beiden Kammern und alle Staatsbeamten
leisten dem Könige den Eid der Treue und des Gehorsams und be-
schwören die gewissenhafte Beobachtung der Verfassung.
A.
Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht statt.
Die Verpflichtung der Landtagsmitglieder, dem Könige treu und gehorsam zu sein und
die Verfassung gewissenhaft zu beobachten, ist von der Leistung des durch Art. 108 ge-