II. Ges.-Über 2c. Bundes= u. Staatsangehörigkeit v. 1. Juni 1870. §8 1. 351
§ 1.
Die Bundesangehörigkeit wird durch die Staatsangehörigkeit in
einem Bundesstaate erworben und erlischt mit deren Verlust.
Angehörige des (irossherzogthums Hessen besitzen die Bundesangehörigkeit nur
dann, wenn sie in den zum Bunde gehörigen Theilen des Grossherzogthums heimaths-
berechtigt sind.
A. Während in den Vereinigten Staaten das Unionsbürgerrecht das Prinzipale, das
Staatenbürgerrecht das Accessorium ist, schließt umgekehrt im Deutschen Reiche das In-
digenat des Einzelstaates von Rechtswegen das Reichsbürgerrecht in sich. Der Preußische
Staatsbürger ist zugleich Deutscher Reichsbürger. Sein Eintritt in den Reichsdienst ist
ohne Einfluß auf das Indigenat, 3. B. der in das Reichsgericht eintretende Preußische
Richter erhält zwar sein nothwendiges Domizil in Leipzig, aber dies ist ohne Einfluß
auf seine Staatsangehörigkeit (8 12 dieses Gesetzes), er bleibt also Preußischer Staats-
angehöriger. Andererseits tritt der Verlust der Reichsangehörigkeit von selbst mit dem
Verlust der Staatsangehörigkeit ein.
Eine Reichsangehörigkeit ohne Staatsangehörigkeit giebt es also nach dem ganzen
System des Gesetzes nicht. Sie ist überhaupt von dem Gesetz auch nicht vorgesehen, und
dasselbe enthält somit eine Lücke, falls die Möglichkeit einer Reichsangehörigkeit ohne
n“ auch außerhalb des Gesetzes existent wird. Dies findet in folgenden
Fällen statt:
1. Zunächst tritt eine Reichsangehörigkeit ohne Staatsangehörigkeit ein für die
Bewohner eines * ausländischen Territoriums, welches dem Reichsgebiete hinzutritt,
ohne zugleich als selbstständiger Bundesstaat konstituirt oder einem der bestehenden
Bundesstaaten einverleibt zu werden. So ist die Insel Helgoland nebst Zubehörungen
durch Gesetz, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich, vom
15. Dezember 1890 (Reichs-Gesetzbl. S. 207) am 18. Dezember 1890 mit dem Deut-
schen Reich und durch Gesetz, betreffend die Vereinigung der Insel Helgoland mit der
Preußischen Monarchie, vom 18. Februar 1891 (Ges.-Samml. S. 11) am 1. April 1891
mit der Preußischen Monarchie vereinigt worden. In der Zeit vom 18. Dezember 1890
bis zum 31. März 1891 einschließlich sind die Helgoländer Reichsangehörige ohne Staats-
angehörigkeit gewesen.
Eine eigenthümliche Stellung nehmen die Reichslande Elsaß-Lothringen ein.
Denn da sie dem Reichsgebiete angehören, aber weder als selbstständiger Bundesstaat
konstituirt, noch einem der bestehenden Bundesstaaten einverleibt, sondern Reichslande
unter Reichsverwaltung geblieben sind, so giebt es keine Elsaß-Lothringische Staats-
angehörigkeit. Die Einführung des Gesetzes über die Erwerbung und Verlust der
Bundes= und Staatsangehörigkeit hat daher die Folge, daß dieselben Thatsachen, welche
in den Bundesstaaten den Erwerb und Verlust der Reichs= und Staatsangehörigkeit be-
franden in Elsaß-Lothringen nur den Erwerb oder Verlust der Reichsangehörigkeit nach
ich ziehen.
2. Das Gesetz wegen Abänderung des Hesetes, betreffend die Rechtsverhältnisse
der Deutschen Schutzgebiete, vom 17. April 1886 (Reichs-Gesetzbl. S. 75), vom 15. März
1888 (Reichs-Gesetzbl. S. 71) bestimmt in § 6, daß Ausländern, welche in den Schutz-
gebieten sich niederlassen, sowie Eingeborenen durch Naturalisation die Reichsangehörig-
keit von dem Reichskanzler oder einem von diesem beauftragten anderen Kasferliche
Beamten verliehen werden kann.
Das Gesetz vom 1. Juni 1870 enthält, wie gesagt, in dieser Beziehung eine
Lücke. Denn es kennt nur die Naturalisation von Nichtdeutschen und die Aufnahme
von Angehörigen des einen Bundesstaates in einen anderen Bundesstaat, wozu noch der
besondere Ausnahmefall des § 21 Abs. 5 kommt, kennt aber keine Naturalisation oder
Aufnahme von Reichsangehörigen ohne Staatsangehörigkeit, so daß solche Reichs-
angehörige nach dem geltenden Recht nicht Angehörige eines Bundesstaates werden
können. Siehe unten Anmerk. B. zu § 7.
Zu erwähnen ist auch noch der Fall, wenn ein Ansländer Monarch eines Bundes-
staates wird. Da die verbündeten Fürsten die Träger der Reichsgewalt sind, zu der sie
ihrerseits wiederum in einem Subjektionsverhältniß stehen, und da die Reichs= und
Staatsangehörigkeit eben das Subjektionsverhältniß zu der Reichsgewalt, zu der Staats-
gewalt bedeutet, so sind sie Reichsangehörige. Der Ausländer wird also im Augenblicke
der Thronbesteigung Reichsangehöriger. Die Frage, ob er durch die ahronbchteigung