II. Ges. über 2c. Bundes= u. Staatsangehörigkeit v. 1. Juni 1870. 8 10. 359
A. Unter Bestallung ist die dauernde Berufung zu einem Amte, im Gegensatze zur bloß
vorübergehenden, zeitlich begrenzten oder bloß widerruflichen Verwendung im öffentlichen
Dienste zu verstehen. Der Ausdruck Kirchendienst bezeichnet den Dienst in einer der
gesetzlich und nach Staatsverträgen bevorrechteten Kirchen, nämlich der evangelischen
und der römisch-katholischen, weil nur bei diesen eine Mitwirkung des Staates hinsichtlich
der Besetzung der Kirchenämter statrfindet (Anmerk. A. 1. a. zu Art. 13 der Verfassungs-
urkunde, oben S. 77). Des Näheren ist zu bemerken:
1. Auch Offiziere sind Staatsbeamte. Zum Eintritt in das Heer bedürfen Ausländer
der Genehmigung des Kontingentsherren. Nach Kabinetsordre vom 30. Juni 1846
(Verwaltungs--Minist.-Bl. S. 191) darf, ausgenommen bei ausbrechendem Kriege
und während desselben, kein Ausländer ausgenommen werden, der nicht vorher
Preußischer Staatsangehöriger geworden ist.
2. Durch die Anstellung als Militärarzt wird die Eigenschaft als Preuße erworben
Gesteipt des Ministers des Innern vom 15. Juni 1867, Verwaltungs-Minist.=
Bl. S. 254).
3. Dasselbe gilt von Ausländern, welche in den Dienst von dem Staate untergeord-
neten Kollegien, Korporationen und Gemeinden treten (§ 69 A. L. R. II. 10), z. B.
zu Lehrern an einer städtischen Schule ernannt werden (Reskript des Ministers des
Junern vom 10. September 1866, Verwaltungs-Minist.-Bl. S. 228).
4. Das Amt des Schiedsmanns ist kein — unmittelbares oder mittelbares — Staats-
amt im Sinne des § 9, sondern ein Ehrenamt (Schiedsmannsordnung vom
29. März 1879 § 2, Ges.-Samml. S. 321), und die Rechtsanwaltschaft ist ein Ge-
werbe, ars liberalis (Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 § 4, Reichs-Gesetz-
bl. S. 17).
B. Unter dem onssichen Wohnsitz des Abs. 2 ist der erste dienstliche Wohnsis zu verstehen.
Wie bereits in Anm. A. zu § 1 bemerkt wurde (oben S. 351), ist der Eintritt eines
Bundesangehörigen in den Reichsdienst ohne Einfluß auf das Indigenat, mag auch
dieser Eintritt mit einer Donzilverlegung in einen anderen Bundesstaat verknunse sein.
Dagegen erwirbt nach § 9 Abs. 2 ein Ausländer, welcher im Reichsdienst angestellt
wird und seinen dienstlichen Wohnsitz in einem Bundesstaate hat, die Staatsangehörigkeit
in eben diesem Bundesstaate. Für den Fall, daß der im Reichsdienst angestellte Aus-
länder seinen dienstlichen Wohnsitz im Auslande hat, enthält das Gesetz keine Bestimmung.
Bezüglich dieser Reichsbeamten liegt also eine Lücke vor gegenüber dem Gesetz, be-
treffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 1873 (Reichs-Gesetzbl.
S. 61). Denn nach den 8§8§ 34, 57 dieses lebteren Gesetzes ist jeder Beamte, welcher
sein Diensteinkommen aus der Reichskasse zieht, pensionsberechtigt, aber das Recht auf
den Bezug der Pension ruht, wenn der Pensionär das Indigenat verliert, bis zur
etwaigen Wiedererlangung desselben; bei allen Deutschen Reichsbeamten wird also still-
schweigend die Reichsangehörigkeit vorausgesetzt. Diese Lücke ist aber ausgefüllt durch das
Gesetz, betreffend die Naturalisation von Ausländern, welche
im Reichsdienste angestellt sind. Vom 20. Dezember 1875. (Reichs-
Gesetzbl. S. 321.)
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König
von Preußen 2c. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zu-
stimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:
Ausländern, welche im Reichsdienst angestellt sind, ein Diensteinkommen
aus der Reichskasse beziehen und ihren dienstlichen Wohnsitz im Auslande haben,
darf von demjenigen Bundesstaate, in welchem sie die Verleihung der Staatsan-
gehörigkeit nachsuchen, die Naturalisationsurkunde nicht versagt werden.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 20. Dezember 1875.
(L. S. Wilhelm.
Fürst v. Bismarck.
§ 10
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Die Naturalisationsurkunde, bezw. Aufnahmeurkunde, begründet
mit dem Zeitpunkte der Aushändigung alle mit der Staatsangehörig—
keit verbundenen Rechte und Pflichten.