Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

380 III. Verordn. über 2c. des Bersamml. u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. § 1. 
frei, theils weil sie lediglich im öffentlichen, polizeilichen Interesse erfolgen, theils — 
Gesuche — nach § 2 Nr. 1 des Gesetzes, betreffend die Aufhebung beziehungsweise Er- 
mäßigung gewisser Stempelabgaben, vom 26. März 1873, Ges.-Samml. S. 131 (Reskript 
vom — 1851 und 29. November 1869, Verwalt.-Minist.-Bl. 1851 S. 168 und 
# 1. 
Von allen Versammlungen, in welchen öffentliche Angelegenheiten 
erörtert oder berathen werden sollen, hat der Unternehmer mindestens 
vierundzwanzig Stunden vor dem Beginne der Versammlung, unter 
Angabe des Ortes und der Zeit derselben, Anzeige bei der Orts- 
polizeibehörde zu machen. Diese Behörde hat darüber sofort eine 
Bescheinigung zu ertheilen. 
A. Der 9 1 bezieht sich nur auf solche Versammlungen, in welchen öffentliche Angelegen- 
heiten erörtert oder berathen werden sollen, ist aber nicht auf öffentliche d. n. solche 
Versammlungen beschränkt, zu denen der Zutritt Jedermann freisteht, und es ist leich 
giltig, wie die Versammlung eingeladen oder zusammengebracht ist Obertribunal 19. No- 
vember 1874, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 15 S. 794; Kammergericht 30. Oktober 
1885, Johow Jahrbuch Vd. 6 S. 246). Er ist ebenmäßig anwendbar auf Versamm- 
lungen solcher Vereine, welche an sich nicht mit der Erörterung öffentlicher Ange- 
legenheiten sich befassen, aber ausnahmsweise, insbesondere unter Zuziehung von Nicht- 
mitgliedern, dazu schreiten. Daher bedarf z. B. trotz § 104 Abs. 5, 6 der Gewerbe- 
ordnung die Versammlung einer Handwerkerinnung der vorherigen schriftlichen Anzeige 
bei der Ortspolizeibehörde jedenfalls dann, wenn Handwerker, welche nicht Mitglieder 
der Innung sind, zu der Versammlung hinzugezogen werden (Obertribunal, Oppenhoff 
Rechtsprechung Bd. 13 S. 425 und Kammergericht, Johow Jahrbuch Bd. 12 S. 247). 
Wie viele Menschen zusammengekommen sein müssen, damit eine „Versammlung“ als 
existent angenommen werden kann, ist quaestio facti. Es ist aber klar, daß nicht jede 
kleine, selost in einem Privathause zur Besprechung irgend einer öffentlichen Angelegen- 
heit sich zusammenfindende Gesellschaft der Anzeigepflicht unterworfen ist, vielmehr eine 
Lersammlung im Sinne des Gesetzes nur dann angenommen werden darf, wenn die 
Zahl ihrer Mitglieder die Zahl der gewöhnlich in diesem Privathause gesellschaftlich ver- 
sammelten Personen übersteigt. Hieraus erhellt übrigens, daß auch in einer Privat- 
wohnung stattfindende Zusammenkünfte unter den Begriff einer Versammlung fallen 
können (Oberverwaltungsgericht 1. Oktober 1890, Entscheidungen Bd. 20 l. 432; 
Kammergericht 13. April 1891, Johow Jahrbuch Bd. 11 S. 303). 
Erforderlich ist, daß die Versammlung zum Zwecke der Erörterung oder Be- 
rathung öffentlicher Angelegenheiten unternommen worden ist, also von vornherein bei 
dem Unternehmer, Einberufer rc. die Absicht vorgewaltet hat, dergleichen Angelegenheiten 
in der Versammlung zu erörtern oder zu berathen. Dagegen ist es nicht erforderlich, 
daß die anwesenden Personen zu dem beregten Zwecke sich auf irgend eine Weise 
organisiren, sich zu einer Versammlung für diesen Zweck konstituiren. Das Gesetz läßt 
nicht erkennen, daß es unter einer Versammlung nur solche Zusammenkünfte versteht, 
in denen unter Leitung eines gewählten Bureaus die Berathung und Erörterung eine 
einheitliche, in Wechselrede verlaufende ist, und es genügt daher, wenn die beabsichtigte 
Erörterung in durchaus zwangsloser Weise, ohne besondere Organisation oder einheitliche 
Konstituirung, erfolgt. Daraus, daß das Gesetz in § 12 der Vorsteher, Ordner, Leiter 
besonders gedenkt, folgt die Nothwendigkeit einer Organisation nicht, denn jener Personen 
wird nur deshalb gedacht, um ihre Strafbarkeit auch neben der der eigentlichen Redner 
zu normiren. Die gegentheilige Ansicht wäre nur dann richtig, wenn eine Versammlung 
ohne förmliche Organisation oder Konstituirung gar nicht denkbar wäre. Dies ist aber 
so wenig der Fall, daß sofort mit der erzielten Vereinigung einer Anzahl von Per- 
sonen an dem bestimmten Orte und zu dem bestimmten Zwecke, also sogar vor der 
sormellen Eröffnung, die Versammlung existent ist (Obertribunal 12. September 1878, 
Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 19 S. 411; Reichsgericht 1. Mai 1882 und 22. Sep- 
tember 1890, Entscheidungen in Strafsachen Bd. 6 S. 215 und Bd. 21 S. 71; Kammer-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.