Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

382 III. Verordn über 2c. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. 81. 
stimmten Persönlichkeit zum Abgeordneten zu üben (Kammergericht 31. Oktober 1885, 
ebenda Bd. 6 S. 247). 
Die Rechtsprechung hat sogar für öffentliche Angelegenheiten nicht nur diejenigen 
erklärt, bei welchen es sich um die allgemeinen Interessen der Gegenwart handelt, sondern 
sogar geschichtliche Erörterungen über die Wirkungen des Christenthums im Gegensatz 
zu der humanistisch-liberalen Richtung herangezogen Obertribunal 19. November 1871, 
Goltdammer Archiv Bd. 22 S. 715). Danach wäre jede Erörterung vergangener Zu- 
stände und Ereignisse, welche die aus der Geschichte zu ziehenden Lehren für die Gegen- 
wart oder auch nur Parallelen zwischen der Vergangenheit und Gegenwart zöge, im 
Sinne dieses Gesetzes eine Erörterung in öffentlichen Angelegenheiten, eine Folgerung, 
aus welcher die Irrigkeit jener Rechtsprechung zur Genüge erhellen dürfte. 
Wenn das Ecces sich auf solche Versammlungen bezieht, in welchen öffentliche 
Angelegenheiten erörtert oder berathen werden sollen, so ist eine Berathung natürlich 
nur möglich in Wechselrede. Dagegen kann eine Erörterung auch in einem Monologe 
geschehen, ohne daß sich eine Wechselrede, eine Debatte über das Vorgetragene anknüpft. 
Daß die Erörterung in freier Rede, sei es mit oder ohne Konzept, stattfinde, ist nicht 
erforderlich, indem vielmehr das Erörtern sehr wohl auch bloß in dem Verlesen eines 
— gedruckten oder geschriebenen — Aufsatzes, Zeitungsartikels, Briefes u. ä. bestehen 
kann (Kammergericht 12. Januar 1893, Johow Jahrbuch Bd. 13 S. 364). Nach einer 
Entscheidung des Obertribunals vom 19. Februar 1864 (Verwalt-Minist.-Bl. S. 208) 
heißt „erörtern“ eine Sache nach ihrem Grunde und ihrem Wesen untersuchen, auseinander- 
setzen, auseinanderlegen, ohne daß allerdings die Gründe für und wider entwickelt zu werden 
brauchen, indem auch eine einseitige Beleuchtung und Betrachtung eine Erörterung ist, 
und ohne daß die Abgabe einer eigenen Meinung, eine Kritik erforderlich ist, sodaß auch 
derjenige einen Gegenstand erörtert, welcher denselben philosophisch, belehrend, referirend 
auseinandersetzt und zum Verständniß der Zuhörer zu bringen sucht. Diese Definition 
geht nicht weit genug Erörtern ist eben vortragen, eine Erörterung ist daher schon in 
dem einfachen Erzählen positiver, sei es geschichtlicher, sei es der unmittelbaren Gegen- 
wart angehörender Thatsachen enthalten, ja dies ist oft die eindringlichste Erörterung, 
die sich über eine öffentliche Angelegenheit geben läßt. 
C. Der § 1 findet Anwendung nur auf solche Versammlungen, in welchen öffentliche 
Angelegenheiten berathen oder erörtert werden sollen, d. h. welche zum Zwecke der 
Besprechung öffentlicher Angelegenheiten unternommen worden sind. Die Versammlung 
muß also mit der gemeinsamen Absicht zusammengetreten oder von dem Unternehmer 
u dem ausgesprochenen oder aus den Umständen sich ergebenden Zwecke veranstaltet 
sein dergleichen Angelegenheiten zu besprechen (Obertribunal 5. November 1871, 
3. Mai 1877, 19. Februar 1879, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 15 S. 749, Bd. 18 
S. 318, Bd. 20 S. 22; Kammergericht 9. Juli 1885 und 5. Oktober 1891, Johow 
Jahrbuch Bd. 6 S. 243 und Bd. 12 S. 235). Diese Absicht ist nothwendig, aber auch 
genügend, indem es keineswegs erforderlich ist, daß die Besprechung nachher wirklich 
stattgefunden hat (Obertribunal 19. Februar 1879 a. a. O.). Dabei ist es gleichgiltig, 
welchen Zweck der einzelne Redner bei der Besprechung der öffentlichen Angelegenheiten 
gehabt hat, namentlich ob er Dritte aufklären oder auf deren Willensbestimmung ein- 
wirken wollte; jede thatsächliche Besprechung solcher Angelegenheiten als Zweck der Ver- 
sammlung genügt (Obertribunal 3. Mai 1877 a. a. O.). Selbst darauf kommt es nicht 
an, ob den zusammenberufenen Personen die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten 
als der Zweck ihres Zusammenkommens bewußt und bekannt war. Auch eine Versammlung, 
die zu einem nur fingirten Zwecke berufen worden ist und deren Theilnehmer in dem 
hierdurch veranlaßten Irrthum über den Zweck der Versammlung zusammengetreten sind, 
unterliegt unbedenklich dem Gesetze, wenn die Unternehmer in Wirklichkeit den Zweck ver- 
solgten, öffentliche Angelegenheiten in der Versammlung zu erörtern oder zu berathen 
(Kammergericht 9. Juli 1885 a. a. O.). Jolgerecht tritt eine Bestrafung wegen unter- 
lassener Anzeige — §. 12 — nicht ein, wenn in einer zu einem anderen Zwecke einbe- 
rufenen Versammlung von Einzelnen das Gebiet der politischen Erörterung betreten 
worden ist (Obertribunal 5. November 1874 a. a. O.), denn der Gesetzgeber will nicht 
jede kleine Abschweifung auf öffentliche Angelegenheiten, z. B. in Gestalt eines Toastes, 
verbieten. Aber dies darf nicht zu einer Umgehung des Gesetzes benutzt werden. Die 
Existenz der Absicht ist eben qunesrio ktacti und die geflissentliche, anhaltende Besprechung 
öffentlicher Angelegenheiten in einer angeblich zu einem anderen Zwecke veranstalteten 
Versammlung läßt den Schluß zu, daß solche Besprechung jedenfalls eventuell beabsichtigt 
geaewesen ist (vgl. Oberverwaltungsgericht 1. Oktober 1890, Entscheidungen Bd. 20 S. 432).
	        
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