384 III. Verordn, über rc. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. 8 1.
Es ist schon mehrfach vorgekommen, daß zur Ermöglichung der Fort-
setzung einer öffentlichen Versammlung, deren polizeiliche Auflösung von vorn-
herein befürchtet wurde, gleichzeitig eine zweite, wenige Stunden später abzu-
haltende Versammlung für daffelbü Lokal und von demselben Unternehmer ein-
berufen, und daß nach Auflösung der ersten Versammlung dann gleich hinter-
gevr die zweite eröffnet, bezw. in dieser die Verhandlung weiter fortgeführt ist.
in solches Verfahren enthält aber eine offenbare Umgehung der bezüglichen
Gesetzesbestimmung. Künftigen ähnlichen Versuchen wird sich dadurch begegnen
lassen, daß, wenn nach Lage der Sache kein Zweifel darüber besteht, die zweite
in demselben Lokale wenige Stunden nach der ersten abzuhaltende Versammlung
solle lediglich zu dem vorangegebenen Zwecke dienen, die polizeiliche Bescheinigung
über die erfolgte Anmeldung dieser zweiten Versammlung mit Rücksicht darauf
verweigert wird, daß thatsächlich nur eine mit der ersten Versammlung identische
Versammlung angemeldet wird. Auch würde die Polizeibehörde vollkommen
berechtigt sein, eine derartige Fortsetzung einer Vol sversammlung, welche so-
eben aufgelöst ist, ohne Weiteres aus diesem Grunde aufzulösen.
Aber diesem Reskripte Folge zu leisten dürfte für die Beamten der Polizeiver-
waltung, wenn sie sich nicht einem Strafverfahren wegen widerrechtlicher Nöthigung
durch Mißbrauch der Amtsgewalt aussetzen wollen, nicht anzurathen sein. Denn abge-
sehen von dem eigenthümlichen Widerspruche, welcher in der ministeriellen Anweisung liegt,
eine bereits aufgelöste Versammlung „ohne Weiteres aufzulösen", ist es gesetzlich nicht unter-
sagt und, sogar in § 1 Abs. 2 indirekt für zulässig erklärt, mehrere Versammlungen kurz
hintereinander unter Betheiligung derselben NRenschonmenge und in demselben — oder auch
in einem anderen — Lokale abzuhalten, ist ferner der mit der Veranstaltung der zweiten
Versammlung verbundene Zweck — Fortsetzung einer früheren, falls diese aus irgend
einem Grunde aufgelöst werden sollte — irrelevant, und darf endlich die Auflösung einer
Versammlung nur unter den in § 5 des Gesetzes normirten Voraussetzungen epoolgen,
zu welchen Voraussetzungen nicht die gehört, daß eine spätere Versammlung materiell
nur Fortsetzung einer früheren ist. Aus der Judikatur sind zwei Entscheidungen zu
verzeichnen. enn nämlich eine Nichtvereinsversammlung die begonnenen Verhand-
lungen an einem anderen Orte festsetzt, so ist sie als neue anzusehen (Obertribunal
7. Oktober 1873, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 14 S. 607). Ebenso ist es eine
neue Versammlung, wenn nach dem materiellen Schluß einer statutengemäßen Vereins-
versammlung die anwesenden Mitglieder von dem Vorsitzenden Behufs Erörterung so-
zialpolitischer Angelegenheiten zusammengehalten werden (Kammergericht 12. Januar
.893, Voho Jahrbuch Bd. 13 S. 364). In diesen beiden Fällen war also von der
neuen Versammlung der Ortspolizeibehörde vorher Anzeige zu machen und von der
Behörde die Bescheinigung zu ertheilen.
E. Wie bereits oben — S. 377 — bemerkt ist, schließt die verfassungsmäßige Gewähr-
leistung des Versammlungsrechts nicht aus, daß die aus allgemeinen Erunden er
Sicherheit, Wohlfahrt und Sittlichkeit ergangenen polizeilichen Anordnungen auch auf
die Versammlungen Anwendung finden. Es ist eben, wie es das Allgemeine Land-
recht in 8 10 II. 17 treffend ausdrückt, das Amt der Polizei,
die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, hccherheit und Ord-
nung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern derselben
bevorstehenden Gefahr zu treffen.
Das mit dem Versammlungs= und Vereinsgesetz gleich datirende Gesetz über
die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 G Sammn S. 265) zählt in § 6
unter den „Gegenständen der ortspolizeilichen Vorschriften“ auf:
Ordnung und Gesetzlichkeit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren
Anzahl von Personen;
Sorge für Leben und Gesundheit,
und hiermit stimmt der § 6 der Verordnung über die Polizeiverwaltung in den neu
erworbenen Landestheilen vom 20. September 1867 (Ges.-Samml. S. 1529) wörtlich
überein. Die Polizeibehörde darf daher die Versammlung verbieten, wenn dieselbe zu
nachtschlafender Zeit oder in einem den Einsturz drohenden oder von ansteckenden
Krankheiten infizirten Hause abgehalten werden soll. Wenn also auch die Behörde im
Allgemeinen nicht berechtigt ist, die Versammlung auf eine bestimmte Zahl von Theil-
nehmern zu beschränken, so ist sie doch befugt, im Interesse der Sicherheit der die
Versammlung besuchenden Personen nur so vielen das Betreten des Lokals zu gestatten,
als dieses nach seiner baulichen Beschaffenheit zu tragen vermag (Oberverwaltungsgericht