Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

388 III. Verordn. über r2c. des Versamml. u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. 82. 
Volksversammlung seitens des Vorstehers eines bestimmten Vereins an einem anderen 
Orte gänzlich beweislos für die Frage sein, ob auch an dem letzteren Ort ein Verein 
bereits besteht bezw. neu gebildet wird (Obertribunal 25. Mai 1877, Goltdammer 
Archiv Bd. 25 S. 384). 
D. Die Einreichung der Statuten und des Mitgliederverzeichnisses, sowie der etwaigen 
Aenderungen muß binnen drei Tagen geschehen. Von welchem Augenblick an diese drei 
Tage zu berechnen sind, hat das Gesetz nicht bestimmt. Das materielle Strafrecht 
lennt nur eine computatio naturalis, keine eivilis. Dagegen soll für das Proz eßrecht 
§ 42 der Strafprozeßordnung bei der Berechnung einer nach Tagen bestemmten 
Fuist der Tag nicht mitgerechnet werden, auf welchen das Ereigniß fällt, nach welchem 
der Anfang der Frist sich richten soll. Nach dem Satze in dubio mitins ist die zweite 
Berechnung zu wählen, zumal die erstere regelmäßig zu keinem sicheren Resultate führt 
und auch sonstige Schwierigkeiten hervorruft. Thatsächlich wird denn auch in der Praxis 
die zweite Rechnung angewendet. 
Da die Einreichung „zur Kenntnißnahme“ erfolgen soll, müssen die Statuten 2c. 
bei Vermeidung der Strafe des § 13 in Deutscher Sprache eingereicht werden (Ober- 
tribunal 9. Februar 1876, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 17 S. 103). 
Die Verpflichtung ist nicht dahin auszudehnen, daß die Einreichung außer bei 
der Polizeibehörde des Ortes, wo der Verein seinen Sitz hat, auch bei den Lokal- 
polizeibehörden aller derjenigen Orte, wo ein oder mehrere Mitglieder des Vereins 
wohnen, zu erfolgen hätte. Vielmehr tritt eine solche Verpflichtung erst dann 
ein, wenn und insoweit der Verein eine über die Grenzen seines Ortspolizeibezirkes 
hinaus in einen anderen Polizeibezirk hinübergreifende mehr oder weniger selbstständige 
örtliche Vereinsthätigkeit entwickeln will (Obertribunal 9. Juni 1870, 20. März 1873 
und 16. April 1874, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 11 S. 31, Bd. 14 S. 221 
und 05. 15 S. 230; Kammergericht 10. Februar 1887, Johow Jahrbuch e. 7 
) 
Ueber die erfolgte Einreichung hat die Ortspolizeibehörde sofort eine Bescheinigung 
zu ertheilen. Auf diese Ertheilung haben die Vereinsvorsteher einen im Verwaltungs- 
streitverfahren verfolgbaren Rechtsauspruch (Oberverwaltungsgericht 21. Januar 18)1, 
Entscheidungen Bd. 22 S. 397). 
E. Der Art. 12 der Verfassungsurkunde garantirt die Freiheit des Religionsbekenntnisses, 
der Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffent- 
lichen Religkonuc#ung. ezüglich des Associationsrechtes allegirt er den Art. 30 der 
Verfassungsurkunde, zu dessen Ausführung eben das vorliegende Gesetz bestimmt ist. 
Nach § 2 Abs. 3 beziehen sich die Vorschriften der §8 1 und 2 nicht auf kirchlich: und 
religiöse Vereine und deren Versammlungen, wenn diese Vereine Korporationsrechte 
haben. Sie beziehen sich also nicht auf die sog. Kirchen (evangelische Landeskirche der 
älteren Provinzen, die evangelischen Landeskirchen der 1863 hinzugetretenen Länder ein- 
schließlich der reformirten Konföderation in Niedersachsen, die katholische Kirche ein- 
schließlich der altkatholischen) und nicht auf die Altlutheraner, Niederländischen Refor- 
mirten in Elberfeld (Kohlbrüggianer), Herruhnter und Böhmischen Brüder, Mennoniten, 
Baptisten und vorschriftsmäßig gebildeten Synagogengemeinden. Unbeschadet aller= 
dings der Befugniß der Polizeibehörde, Vorkehrungen zum Schutze des Publi- 
kums zu treffen, also z. B. wegen lebensgefährlicher Ueberfüllung, Vermeidung von 
Feuersgefahr, mit Bezug auf ansteckende Epidemien das Erforderliche vorzuschreiben 
(Oberverwaltungsgericht 3. Dezember 1887, Entscheidungen Bd. 16 S. 337), wogegen 
der Schutz der äußerlichen kirchlichen. Ordnung der anerkannten Religionsgesellschaften 
nicht der Orts-, sondern der Landespolizeibehörde kompetirt (Oberverwiültungsgericht 
10. Dezember 1381, Verwaltungs-Minist.-Bl. 1885 S. 22). 
Die Religionsgesellschaften ohne Korporationsrechte, wie Frvingianer, Nazarener, 
Quäker, Grundtvigianer, freie Gemeinden, Deutschkatholiken, Philipponen sind nicht in 
dieser Weise bevorzugt. Es muß, so besagt ein Reskript des Ministers des 
Innern vom 1. August 1850 (Verwaltungs-Minist.-Bl. S. 205), 
als feststehend angenommen werden, daß alle Religionsgesellschaften, welche 
keine Korporationsrechte besitzen, den Bestimmungen des Vereinsgesetzes, soweit 
dieses von Versammlungen und Vereinen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten 
beschäftigen, handelt, unbedingt unterworfen sind, und daß es, um die hierher ge- 
hörigen Paragraphen des Gesetzes auf sie zur Anwendung zu bringen, nicht erst 
einer Prüfung der Frage bedarf, ob jene Gesellschaften sich auf die Versolgung
	        
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