Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

Einleitung. § 1. 21 
Stände im althergebrachten Wortsinn, d. h. vor Allem und wesentlich 
„Vertreter und Wahrer der eigenen Rechte“, der Rechte der Stände, deren 
Vertrauen den bei Weitem größten Theil dieser Versammlung entsendet. 
Nächstdem aber haben Sie die Rechte zu üben, welche Ihnen die Krone 
zuerkannt hat. Das ist aber Ihr Beruf nicht: Meinungen zu reprä- 
sentiren, Zeit= und Schulmeinungen zur Geltung bringen zu sollen. Das 
ist vollkommen undeutsch und obenein vollkommen unpraktisch für das 
Wohl des Ganzen; denn es führt nothwendig zu unlösbaren Verwicke- 
lungen mit der Krone, welche nach dem Gesetze Gottes und des Landes 
nach eigener freier Bestimmung herrschen soll, aber nicht nach dem Willen 
von Majoritäten regieren kann und darf, wenn „Preußen“ nicht bald ein 
leerer Klang in Europa werden soll! Ich gebe Ihnen Mein Königliches 
Wort, daß Ich Sie nicht hierher gerufen haben würde, wenn Ich den 
geringsten Zweifel hegte, daß Sie Ihren Beruf anders deuten wollten 
und ein Gelüst hätten nach der Rolle sogenannter Volksrepräsentanten! 
Aber diese Kundgebung des Königthums von Gottes Gnaden, welche 
gegenüber dem Geiste des Zweifels und des Unglaubens auf religiösem Ge- 
biete mit der Versicherung schloß: „Ich und Mein Haus wollen dem Herrn 
dienen“, fand nur geringen Widerhall. In weiten Kreisen der Bevölkerung 
herrschte die Ueberzeugung, daß die Gesetzgebung vom 3. Februar 1847 den 
Ansprüchen der Nation auf eine reichsständische Verfassung nicht genügende 
Rechnung trage. Diese Auffassung durchdrang die politische Litteratur, de- 
ren gelesenstes Erzeugniß, die Brochüre von August Heinrich Simon, 
Annehmen oder Ablehnen? Die Verfassung vom Februar 1847, beleuchtet 
vom Standpunkte des bestehenden Rechts, Leipzig 1847, mit den Worten be- 
gann: „Wir baten Dich um Brod, und Du giebst uns einen Stein“ 
und in einem den König tief kränkenden Ton geschrieben war. Dieselbe 
Auffassung durchdrang auch den Vereinigten Landtag, welcher in eine an den 
König gerichtete Adresse vom 20. April 1847 den Antrag auf periodische 
Einberufung und zugleich eine Wahrung der ständischen Rechte niederlegte. 
Der Bescheid des Königs vom 22. April ertheilte die Zusicherung, daß die 
nächste Berufung spätestens innerhalb vier Jahren erfolgen solle, und miß- 
billigte zwar die vom Landtage ausgesprochene „Wahrung“", da auch dem 
Könige die Wahrung aller politischen Rechte obliege, verhielt sich aber nicht 
unbedingt ablehnend. Das Patent und die Verordnungen vom 3. Februar 
1847, so erklärte der König, seien von ihm aus freiem Entschluß und König- 
licher Machtvollkommenheit erlassen und dadurch die ständischen Verheißungen 
Königs Friedrich Wilhelm III. nicht nur erfüllt, sondern auch den Ständen 
darüber hinausgehende wesentliche Rechte verliehen; soweit aber jene Verhei- 
ßungen einer Auslegung und Ergänzung bedürften, sei solche in dem mit den 
Institutionen und der Wohlfahrt des Vaterlandes allein vereinbaren Sinne 
gegeben. Deshalb könnten für den durch die Gesetzgebung vom 3. Februar 
1847 ins Leben gerufenen Vereinigten Landtag keine anderen Berechtigungen 
anerkannt werden, als diejenigen, welche ihm durch diese Gesetzgebung beige- 
legt worden seien oder künftig im verfassungsmäßigen Wege beigelegt werden 
möchten. Die Gesetzgebung vom 3. Februar 1847 sei in ihren Grundlagen 
unantastbar; sie sei aber nicht als abgeschlossen zu betrachten, sondern bildungs- 
fähig. Deshalb sei auch der von den Ständen betretene Weg der richtige,
	        
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