394 III. Verordn. über r2c. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. 85.
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Die Abgeordneten der Polizeibehörde sind, vorbehaltlich des
gegen die Betheiligten gesetzlich einzuleitenden Strafverfahrens, befugt,
sofort jede Versammlung aufzulösen, bezüglich deren die Bescheinigung
der erfolgten Anzeige (I§ 1 und 3) nicht vorgelegt werden kann.
Ein gleiches gilt, wenn in der Versammlung Anträge oder Vor-
schläge erörtert werden, die eine Aufforderung oder Anreizung zu
strafbaren Handlungen enthalten; oder wenn in der Versammlung
Bewaffnete erscheinen, die der Aufforderung des Abgeordneten der
Obrigkeit entgegen nicht entfernt werden.
A.
B.
Die Auflösung ist in § 5 nur für zulässig erklärt, also in das pflichtmäßige Ermessen
der Abgeordneten der Polizeibehörde gestellt. Diese dürfen, um der Auflösung vorzu-
beugen, den Vorsitzenden in der Handhabung der Geschäftsordnung unterstützen und ihn,
wenn sich ihnen die Fortsetzung der Versammlung als unstatthaft ergiebt, zur Auf-
hebung der letzteren veranlassen. Hierbei beweist natürlich der Umstand allein, daß
formell der Schluß der Versammlung verkündet worden, noch nicht, daß dieselbe auch
thatsächlich zu bestehen aufgehört hat. Auch wenn der Vorsitzende den Schluß der Ver-
sammlung verkündet hat, sind daher die Abgeordneten gleichwohl befugt, die polizeiliche
Auflösung auszusprechen und die Entfernung der Versammelten aus dem Lokal zu ver-
langen, falls dieselben trotz der formellen Schlußerklärung keinerlei Anstalten zum Fort-
gehen treffen (Kammergericht 4. Oktober 1881, Johow Jahrbuch Bd. 6 S. 252). Be-
züglich der Gründe der Auflösung ist daran zu erinnern, daß den Versammlungen gegen-
über die allgemeinen Gesetze, insbesondere das Strafgesetz, in Kraft bleiben und die Polizei-
behörde die Versammlung aus den allgemeinen Gründen der Sicherheit, Wohlfahrt und
Sittlichkeit, wie von Vorn herein verbieten (siehe Anmerk. E. zu 8 1, oben S. 384), so
auch nach erfolgtem Zusammentritt auflösen kann. Die Abgeordneten können aber nicht
für befugt erachtet werden, Behufs Verhinderung oder Verfolgung der Strafthat eines
Theilnehmers oder Behufs Aufrechterhaltung der Ordnung die Versammlung aufzulösen,
wenn ein Einschreiten ausschließlich gegen die Person des Störers des Rechts oder der
Ordnung genügt, um die Störung abzustellen. Ebensowenig ist, um einen in den Grenz-
provinzen leicht möglichen Fall zu berühren, die Auflösung schon deshalb allein zulässig,
weil die Verhandlungen in einer anderen als der Deutschen Sprache — z. B. in der
Dänischen, Französischen, Polnischen — geführt werden. Vielmehr ist dabei entscheidend,
ob die Versammelten in ihrer Mutter= oder gewöhnlichen Umgangssprache verhandelt
haben und ob nicht etwa doloser Weise oder in frauckem legis Veranstaltungen getroffen
waren, den Abgeordneten der Polizeibehörde die Ueberwachung unmöglich zu machen
(Oberverwaltungsgericht 26. September 1876, Entscheidungen Bd. 1 S. 347).
Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ist die Auflösung in folgenden Fällen zulässig:
1. Wenn die Bescheinigung der erfolgten — speziellen oder generellen — Anzeige
nicht vorgelegt wird, §§ 1, 3. Der Nachweis, daß sie wirklich ertheilt und nur nicht
zur Hand ist, genügt nicht. Eine Versammlung, welche später als eine Stunde nach der
in der Anzeige angegebenen Zeit beginnt oder nach einer längeren als einstündigen Aus-
setzung wieder ausgenommen wird, gilt als eine neue Versammlung, wird also durch die
Vestn escheinigung nicht gedeckt, § 1 Abs. 2.
2. Wenn in der Versammlung Anträge oder Anschläge erörtert werden, die eine
Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten. Denn wenn auch,
wie bei der parlamentarischen Berathung des Gesetzes betont wurde, eine an eine ein-
zelne Person gerichtete Aufforderung zu strafbaren Handlungen in der Regel nicht
kriminalrechtlich bestraft werden kann, so sind doch dergleichen an ganze Versammlungen
ergehende Aufforderungen aus einem anderen Gesichtspunkte zu beurtheilen, nämlich
aus dem der größeren Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. Auf den Beschluß einer auf-
geregten Menge folgt nur allzuoft die That, und wenn der Staat nicht bloß Verbrechen
strafen, sondern auch solchen vorbeugen soll, so tritt diese Pflicht den Versammlungen
gegenüber besonders scharf hervor. Die Anträge oder Vorschläge müssen aber nicht bloß
gestellt oder gemacht, sondern erörtert sein, und dem steht es gleich, wenn sie auch ohne