III. Verordn. über 2c. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. § 8. 401
der gesetzlichen Kontrole zu entziehen. Wenn aber der Vorstand des Vereins als
solcher die Mitglieder des Vereins mit den obigen Zweckbestimmungen zusammen-
berufe, so werde eine solche Zusammenkunft durch die Art der Einladung, insbe-
sondere durch die Allgemeinheit der Zweckbestimmung, welche Raum zu politischen
Erörterungen lasse, als eine Versammlung des Vereins im Sinne des Gesetzes
charakterisirt, zumal dieses keine Ausnahme für solche Versammlungen aufstelle, bei
welchen politische Erörterungen ausgeschlossen bleiben sollten.
Wenn hiernach das Privatleben der Vereinsmitglieder und deren Familien-
festlichkeiten von einer polizeilichen Kontrole der Regel nach frei bleiben sollen, so
ist dabei doch der Begriff einer Familienfestlichkeit nicht definirt und insbesondere
nicht gesagt, daß unter diesen Begriff jede zur litterarischen oder geselligen Unter-
haltung der Vereinsmitglieder und ihrer Angehörigen veranstaltete Zusammenkunft
auch dann falle, wenn sie von den Organen des Vereins und der Bethätigung des
Vereinslebens berufen ist. Vielmehr werden umgekehrt den #m Privatleben der
Mitglieder von diesen veranstalteten) Familienfesten ausdrücklich die vom Vereins-
vorstande als solchem zu geselligen Zwecken berufenen Zusammenkünfte entgegen-
gestellt und unter Umständen als Vereinsversammlungen charakterisirt. Die Kläger
irren daher, wenn sie aus dieser Vorentscheidung herleiten wollen, daß die hier frag-
liche, auf die Vorlesung eines Lustspiels abzielende Zusammenkunft um dieses Zweckes
willen eine Familienfestlichkeit und damit der Beschränkung des § 8 des Vereins-
gesetes so lange entzogen sei, als nicht objektive Momente dafür vorlägen, daß die
ersammlung behufs Umgehung des Gesetzes als Familienfest bezeichnet werde.
Daher kann es vorliegend auch unerörtert bleiben, ob solche Momente in dem bei
früheren Leseabenden bethätigten Verhalten der Theilnehmenden zu erblicken sein
mögen.
In dem Vorprozesse ließ ferner die allgemeine Fassung der bei der Einladung
angegebenen Zweckbestimmung in keiner Weise erkennen, daß politische Erörterungen
ausgeschlossen bleiben sollten; damit fiel jeder Anlaß für eine Nichtanwendung des
Abs. 3 des 8 8 auf diese Zusammenkünfte, so daß die Entscheidung sich darauf be-
schränken durfte, lediglich anzudeuten, daß der Wortlaut des Gesetzes für die nicht
zu politischen Erörterungen bestimmten Versammlungen keine Ausnahme statuirt habe.
Im vorliegenden Falle stehr dagegen fest, einmal, daß der Zweck der hier fraglichen
Zusammenkunft ausschließlich und allein auf die Verlesung eines Lustspiels, das un-
bestritten politische Erörterungen nicht enthält, beschränkt werden soll, und weiter,
daß bei dem Handwerkerverein — wie im Vorprozesse dargethan — der Hauptzweck
auf die Verbreitung allgemeiner Bildung und nur ein mittelbarer und Nebenzweck
auf die Erörterung politischer Gegenstände in Versammlungen gerichtet ist. Sonach
ist nunmehr die Frage zu erörtern, ob bei Vereinen, welche neben dem Zwecke po-
litischer Erörterungen in Versammlungen noch andere Zwecke verfolgen, alle, somit
auch die lediglich den letzteren Zwecken dienenden Versammlungen des Vereins oder
aber nur die dem ersteren Zwecke dienenden durch den Abs. 3 des § 8 beschränkt
sind. Die Beantwortung dieser Frage im letzteren, von den Klägern behaupteten
Sinne würde sich, da der Wortlaut des Gesetzes die „Versammlungen" ohne Ein-
schränkung erwähnt, nur rechtfertigen lassen, wenn die Sprache des gewöhnlichen
Lebens, oder der Gesetzgebung überhaupt oder der Verordnung vom 11. März 1850
insbesondere jenem Ausdrucke eine solche engere, je nach dem Zwecke begrenzte Be-
deutung beigelegt hätte.
In dieser Beziehung versteht der Sprachgebrauch unter Versammlung jede
absichtliche Vereinigung mehrerer Menschen an demselben Orte und zu nicht bloß
gleichartigen Zwecken, sondern zu einem Allen gemeinsamen Zwecke. Deshalb ist
die zu einer Festfeier vereinigte, über die Straße sich bewegende Menschenmenge
als eine Versammlung, und zwar als ein Aufzug anerkannt, auch ohne daß sie —
über die äußere Erscheinung hinaus — noch dokumentirt haben müßte, daß sie ein
Versammlungsrecht ausüben wolle (Entsch des OTr. vom 12. September 1877 —
Goltdammer Archiv Bd. 25 S. 641). Der Gegenstand des Zweckes, das gemeinsame
Ziel, welches durch die Vereinigung erstrebt wird, ist für die Begriffsbestimmungen nicht
entscheidend; es kann auf die Berathung über wissenschaftliche Fragen, über gemeinsame
Angelegenheten und über künftige Handlungen, es kann auch auf die Ausführung
von Handlungen (z. B. gemeinsame Religionsübung oder Unterhaltung jeder Art)
gerichtet sein.
Dem entsprechend hat auch vor Erlaß der Berfassung die Gesetzgebung und
Schwaryp, Preußische Verfassungsurkunde. 26