Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

404 III. Verordn, über ꝛc. des Versamml.- u. Vereinigungsrechtes v. 11. Märʒ 1850. 88. 
solcher ist jedoch auch aus der Entstehungsgeschichte des § 8 nicht zu erbringen; 
diese bestätigt vielmehr die Wortauslegung. Die Kommission der Zweiten Kammer 
at nämlich wegen der beklagenswerthen Folgen, welche die wiederkehrende öffent- 
iche Erörterung ordnungsgefährdender politischer Theorien erfahrungsmäßig nach 
sich ziehe, befürwortet, zwar nicht alle politischen Vereine, wohl aber diejenigen, 
welche ihre Ansichten mündlich in Versammlungen zu verbreiten suchen, besonderen 
Beschränkungen zu unterwerfen. Und sie hat dann in dieser Beziehung ferner er- 
wogen, daß „den Frauenspersonen der Zutritt zu den Sitzungen und Versamm- 
lungen solcher Vereine zu versagen sei, weil es der Beruf der Frauen nicht mit sich 
führe, sich mit politischen Dingen zu beschäftigen, und daß die Minderjährigen aus 
demselben Grunde, aus dem ihnen die Mitgliedschaft versagt wurde“ — nämlich 
weil sie zur Ausübung der politischen Rechte nicht befugt sind) — „auch von den 
Versammlungen ausgeschlossen bleiben müßten“ (Stenogr. Berichte 2. Kammer 
1849/50 S. 2773). Die Absicht des Gesetzgebers ging daher nicht sowohl dahin, 
die Frauen rc. den Einwirkungen durch die in Versammlungen gepflogenen Er- 
örterungen zu entziehen, als vielmehr dahin, sie von der Thätigkeit der politischen 
Vereine fernzuhalten, weil sie zu politischen Dingen nicht berufen seien. Und in 
weerwirsschung dieser Absicht, welche nur die durch Versammlungen wirkenden Ver- 
eine betraf, sind die Frauen, wie von der Mitgliedschaft am Vereine, so auch von 
der Theilnahme an dessen Versammlungen und an dessen Sitzungen ausgeschlossen, 
welches letztere insofern bezeichnend ist, als gerade die Sitzungen weniger zu einer 
politischen Einwirkung auz die Frauen geeignet sein würden, weil sie doch vor- 
wiegend den internen (finanziellen und Verwaltungs-) Angelegenheiten des Vereins 
ewidmet zu sein pflegen. Der Gesetzgeber wollte eben die Frauen außerhalb des 
Porteltreitens der politischen Vereine stellen; sie sollen an der Agitation weder 
aktiv noch passiv Theil nehmen, auch nicht ein Mittel derselben werden. 
Nach dem Vorstehenden erscheint die Annahme unzulässig, daß das Gesetz 
unter „den Versammlungen und Sitzungen des Vereins“ im § 8 Abs. 3 nicht alle 
durch den Verein oder doch von Vereinswegen veranstalteten Zusammenkünfte der 
Mitglieder und Dritter, sondern nur solche verstanden haben sollte, welche der Er- 
örterung politischer Gegenstände dienen. Dann ist jedoch der vom Schriftführer 
des Vereins Namens des Vorstandes auf den 10. Februar 1890 anberaumte und 
polizeilich angemeldete „Leseabend mit Damen" eine Versammlung des Vereins im 
Sinne des § 8 Abs. 3 und hört auch, obgleich der Vorstand auf deren Leitung ver- 
zichtet hat, nicht auf, eine solche zu sein, weil der Verein bezw. dessen Organ doch 
immer der „Unternehmer“ bleibt. Ein solcher Leseabend würde statt als eine 
Vereinsversammlung nur dann als eine Familienfestlichkeit betrachtet werden können, 
wenn er für die Familien der Vereinsmitglieder nicht vom Vereine oder in dessen 
Auftrage oder Vertretung, sondern von einzelnen Familienhäuptern, mögen dies 
Vereinsmitglieder oder andere sein, und zwar nicht bloß in objektiv erkennbarer 
Umgehung des Gesetzes veranstaltet worden wäre. 
ndem die Ortspolizeibehörde die Zulassung der Frauen zu dieser Ver- 
sammlung untersagte, hat dieselbe das Vereinsgesetz zutreffend angewendet und die 
Rechte der Kläger nicht verletzt. 
  
C. Die 88 8, 16 sind durch § 152 der Gewerbeordnung (Anmerk. A. 2 zum Eingange oben 
S. 374) nicht eingeschränkt worden. Durch diesen § 152 sollten die bis dahin in Preußen 
Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 88§ 182, 183, Ges.-Samml. S. 41) und anderen 
eutschen Bundesstaaten in Geltung gewesenen Beschränkungen der gewerblichen Koali- 
tionsfreiheit getroffen werden, welche es den gewerblichen Gehilfen, Gesellen und Fabrik- 
arbeitern untersagten, durch Verabredung über Arbeitseinstellung u. dergl. ihre Arbeits- 
geber zur Gewährung von Zugeständnissen hinsichtlich der Lohn-- und Arbeitsbedingungen 
zu veranlassen. Der gedachte Paragraph hat es daher absolut nicht mit irgend welchen 
Gegenständen allgemein politischer Natur, sondern ausschließlich mit den konkreten Arbeits- 
verträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit den unmittelbar durch diese 
Verträge geregelten Lohn- und Arbeitsbedingungen und mit dem Gegensatz und Kampf 
der sozialökonomischen Interessen unmittelbar um diese Bedingungen zu thun. Sobald 
irgend welche gewerblichen Koalitionen Behufs Erlangung günstiger Lohn= und Arbeits- 
bedingungen das Gebiet des gewerblichen Lebens mit seinen konkreten Interessen ver- 
lassen, sobald sie hinübergreifen in das staatliche Gebiet, sobald sie die Organe und die 
Thätigkeit des Staats für sich in Anspruch nehmen, hören sie auf, gewerbliche Koalitionen 
zu sein und wandeln sich in politische Vereine um, die als solche den Beschränkungen
	        
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