Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

III. Verordn. über ꝛc. des Versamml.- u. Vereinigungsrechtes v. 11. Märʒ 1860. 8 10. 407 
12. September 1877, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 18 S. 553; Kammergericht 5. Mai 
1881, Johow Jahrbuch Bd. 2 S. 248). 
1. Bei der Beurtheilung, ob ein Leichenbegängniß ein gewöhnliches sei, kommt 
es nicht darauf an, ob der Beerdigungsakt in seiner äußeren Form und Einrichtung 
von dem seither Gewöhnlichen und Hergebrachten abweicht; vielmehr entscheidet die 
Rücksicht, ob bei dem betreffenden Aufzuge die Absicht zum Grunde lag, über die Zwecke 
eines Leichenbegängnisses hinauszugehen, und ob dadurch die gesetzliche Freiheit und 
Ordnung geführdet werden sollte (Obertribunal 14. Oktober 1858, Goltdammer Archiv 
Bd. 7 S. 50, und 22. Juni 1877, Oppenhoff Rechtsprechung Bb. 18 S. 468; Kammer- 
gericht 4. Januar 1892 und 12. Mai 1892, Johow Johrbuh -Bd. 12 S. 238 und 
Bd. 13 S. 370). Ein Leichenbegängniß wird also nicht schon dadurch zu einem unge- 
wöhnlichen, weil dem örtlichen Gebrauche zuwider die Geistlichkeit nicht zugezogen worden 
ist (Obertribunal 27. Februar 1879, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 20 . 106). Auf 
der anderen Seite hat die Judikatur Gewicht auf das Gewöhnliche, Hergebrachte gelegt 
und ein Leichenbegängniß für ein ungewöhnliches erklärt, wenn ein Laie als Redner in 
demselben auftritt, so daß beim Mangel einer Genehmigung diejenigen Laien, welche 
Grabreden halten, strafbar sind (Oberverwaltungsgericht 3. Dezember 1887, Entschei- 
———s 16 S. 386; Kammergericht 6. Februar 1890, Johow Jahrbuch Bd. 10 
253)9. 
2. Bei Zügen von Hochzeitsversammlungen kommt der Ortsgebrauch nur hin- 
sichtlich ihrer Vornahme überhaupt, nicht aber auch hinsichtlich ihres Umfanges und der 
Art ihrer Vornahme in Betracht. Die Frage, zu welcher Zeit die Züge hergebracht 
sein müssen, ist in gleicher Weise zu beantworten, wie bei den kirchlichen Prozessionen, 
Wallfahrten und Bittgängen. 
3. Aus dem Grunde der in § 9 normirten Beschränkung in Verbindung mit der 
in § 10 gegebenen Vorschrift, daß bei Einholung der polizeilichen Genehmigung zu 
öffentlichen Aufzügen der beabsichtigte Weg anzugeben ist, ergiebt sich, daß das Gesetz 
die individuellen Ortsverhältnisse im Auge hat, und daß in diesem Sinne auch die in 
8 10 hinzugefügten Ausnahmen zu beurtheilen sind. Wenn daher bezüglich der kirch- 
lichen Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge weiter bestimmt wird, daß dieselben 
einer vorgängigen Genehmigung und überhaupt einer Anzeige dann nicht bedürfen 
sollen, „wenn Ae in der hergebrachten Art stattfinden“, so soll dies offenbar heißen: 
wenn dieselben an dem in Rede stehenden Orte überhaupt hergebracht sind und außer- 
dem in der bisher hier üblichen Weise stattfinden. Denn nur bei solchen in regelmäßiger 
Wiederkehr zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten und in bestimmter Art statt- 
findenden, also der Ortspolizeibehörde schon vorher, ohne besondere Anzeige, bekannten 
Aufzügen ist die Letztere in der Lage, die ihr erforderlich erscheinenden Maßregeln zur 
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit des freien Berkehrs zu treseen 
und einer Störung derselben vorzubeugen. Jeder Aufzug, der nicht nach allen diesen 
Richtungen hin ein hergebrachter ist, ist als ein neuer anzusehen und darf daher nur 
nach vorheriger Genehmigung der Ortspolizeibehörde stattfinden (Obertribunal 14. April 
1853, Entscheidungen Bd. 24 S. 497; 28. Februar 1861, Oppenhoff Rechtsprechung 
Bd. 1 S. 287; 1. März 1861, Goltdammer Archiv B-d. 9 S. 355; 17. September 
1862, 3. Oktober 1862 und 19. Juni 1863, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 3 S. 5, 
48, 513; Kammergericht 27. Juni 1881, Johow Jahrbuch Bd. 2 S. 245). Das Her- 
kommen muß also lokal fixirt sein, und es genügt nicht, daß, wie das Kammergericht 
einmal angenommen hat, die Prozession, die Wallfahrt in der betreffenden Kirchen- 
gemeinschaft, z. B. in der katholischen Kirche, überhaupt üblich ist. Nach dem allegirten 
Urtheil des Obertribunals vom 17. September 1862 ist der Beweis des Einwandes der 
Herkömmlichkeit von dem Angeklagten zu führen, weil die in §8 17 Abs. 3 angedrohten 
Strafen jederzeit verwirkt seien, wenn die Versammlung oder der Aufzug in Städten 
und Ortschaften oder auf öffentlichen Straßen stattgefunden habe. Dieser Ansicht kann 
aber, wenn sie wörtlich — im civilprozessualischen Sinne — genommen werden soll, 
nicht beigetreten werden. Ob ein Herkommen besteht und ob es im einzelnen Falle ein- 
gehalten wurde, ist Gegenstand thatsächlicher Prüfung. So erscheint eine Prozession 
schon dann der Zeit nach bestimmt, wenn sie an den jährlich wiederkehrenden kirch- 
lichen Festen stattfindet (Obertribunal 17. September 1862 und 19. Juni 1863, a. a. O.). 
Kirchliche Prozessionen 2c., welche in einer bestimmten Gegend beim Eintritte gewisser 
Ereignisse herkömmlich stattfinden, bedürfen, wenn sie in hergebrachter Weise stattfinden, 
nicht der vorgängigen Genehmigung der Ortspolizeibehörde, sollte auch an dem betreffen- 
den Einzelorte seit längerer Zeit eine solche nicht stattgefunden haben (Obertribunal
	        
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