III. Verordn. über 2c. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. § 10. 409
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wird von den Ortspolizeibehörden gemäß §8 9, 10 a. a. O. bei eigener Verant-
wortlichkeit nur dann ertheilt werden dürfen, wenn davon eine Gefahr für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung in keiner Hinsicht zu befürchten ist. Eine solche
Gefahr wird bei Wallfahrten auf längeren Strecken, welche ein Uebernachten er-
fordern, stets, bei anderen, sowie bei Prozessionen und Bittgängen, sobald die Be-
theiligung größerer Menschenmengen daran zu erwarten steht, im Hinblicke auf die
erfahrungsmäßig bei derartigen Gelegenheiten vielfach vorkommenden und schwer
zu vermeidenden Ungehörigkeiten in der Regel als vorhanden anzusehen sein. Wird
aber im einzelnen Falle die Genehmigung ertheilt, so sind dabei die Vorschriften
des dritten Absatzes des § 9 a. a. O. genau zu beachten. Für kirchliche Aufzüge,
welche sich durch mehrere Polizeibezirke hindurch bewegen sollen, bedarf es der vor-
gängigen Genehmigung der Ortspolizeibehörden eines jeden dieser Bezirke.
Es ist nicht zu dulden, daß durch kirchliche Aufzüge, auch wenn sie hergebracht sind,
der Straßenverkehr ungebührlich beschränkt oder gar abgeschnitten werde. Nicht
nur ist die Errichtung von Altären auf öffentlichen Straßen und Plätzen nur an
solchen Stellen zu gestatten, wo sie nachweislich hergebracht ist, sondern es sind
auch die sonst erforderlichen Anordnungen — geeignetenfalls durch Erlaß bezüglicher
Polizeiverordnungen — zu dem Zwecke zu treffen, daß nicht durch besondere, wenn
auch an sich erlaubte Benutzungsakte, wie durch hergebrachte Prozessionen u. s. w.,
die Ausübung des allgemeinen Rechts auf Benutzung der öffentlichen Straße und
Plätze verhindert, oder sonst Jemandem, namentlich Andersgläubigen, in der freien
Ausübung gesehtlicher Befugnisse, wie z. B. des eigenen Gottesdienstes, zu nahe ge-
treten werde.
mDie Prozessionen bilden einen Bestandtheil des Gottesdienstes derjenigen Kirche,
von welcher sie ihren Ausgang nehmen. Als Unternehmer im Sinne des § 9 wird
daher derienige Geistliche anzunehmen sein, welchem die Direktion des Gottesdienstes
in der betreffenden Kirche obliegt, d. i. bei Pfarrkirchen der Pfarrer.
Derjenige Geistliche, dem die Abhaltung einer Prozession, sei es auf Grund
seines Amtes oder auf Grund eines Auftrages des Pfarrers obliegt, wird der Regel
nach als Leiter derselben anzusehen sein; welche Personen außerdem als Leiter oder
Ordner gemäß § 17 verantwortlich sind, ist nach den konkreten Verhältnissen zu
beurtheilen. Prozessionen, welche bis dahin herkömmlich unter Leitung eines Ged
lichen stattgefunden haben, sind nicht zu dulden, wenn dieselben der Leitung eines
solchen entbehren; letzteres ist auch anzunehmen, wenn ein staatlich nicht anerkannter
Geistlicher die Leitung übernehmen sollte.
mWenngleich eine gewisse Rücksichtnahme auf den religiösen Charakter der kirchlichen
Prozessionen, Wallfahrten u. s. w. von Seiten der nicht daran Theil nehmenden,
auch der andersgläubigen Bevölkerung als schicklich bezeichnet und erwartet werden
darf, so ist doch jeder Zwang in dieser Richtung unstatthaft. Gegen Belästigungen,
Nöthigungen, wie z. B. zur Entblößung des Hauptes beim Vorüberziehen einer
Prozession — oder gegen andere Ungebührlichkeiten und Exzesse von Seiten der
Theilnehmer einer Prozession u. s. w. haben die Polizeibehörden und Beamten dem
Publikum ihren vollen Schutz zu gewähren. Derartige Ausschreitungen sind unter
keinen Umständen zu dulden und sind etwaige Exzedenten sofort in Haft und zur
Bestrafung zu bringen.
Endlich machen wir noch auf folgenden Gegenstand aufmerksam:
Es ist mehrfach vorgekommen, daß durch Prozessionen, Wallfahrten und
Bittgänge ansteckende Krankheiten verbreitet sind. Wir weisen zur Vermeidung
solcher Vorkommnisse darauf hin, daß die Anordnung von polizeilichen Maßregeln,
welche darauf berechnet sind, der Weiterverbreitung lebensgefährlicher Epidemien
vorzubeugen, in den Kreis derjenigen Gegenstände der Sorge für Leben und Ge-
sundheit fän. über welche nach § 6 litt. f# des Gesetzes über die Polizeiverwaltung
vom 11. März 1850 bezw. der Verordnung vom 20. September 1867 für die neuen
Landestheile polizeiliche Vorschriften mit Strafandrohung zulässig sind. Es wird
daher, wenn eine lebensgefährliche Epidemie in einem Bezirke oder dessen Nachbar-
schaft im In-- oder Auslande ausgebrochen ist, ebenso zulässig als geboten sein,
nicht allein nach § 13 des Reglements vom 8. August 1835 (Ges.-Samml. S. 240)
alle ungewöhnlichen Anhäufungen von Menschen an bereits inficirten Orten, sondern
nach Analogie dieser Vorschrift auch ungewöhnliche Anhäufungen und Massen von
Menschen, welche aus inficirten Gegenden kommen oder solche Gegenden passirt
haben, auch wenn sie sich nach einem nicht inficirten Orte begeben wollen, inner-