Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

26 Einleitung. 81. 
der die Möglichkeit einer Vereinbarung mit der Krone ausschließe: daß 
mit einer in so tiefer innerer Zerrüttung befindlichen Versammlung die Ver- 
fassungsberathung ohne Verletzung der Würde der Krone nicht fortgesetzt wer- 
den könne."“ 
Gleichzeitig mit der die Auflösung der Nationalversammlung ausspre- 
chenden Verordnung wurde einseitig von der Krone eine Verfassungsurkunde, 
die sogenannte oktroyirte Verfassungsurkunde, und am Tage darauf, am 6. 
Dezember 1848, zwei neue Wahlgesetze erlassen (Ges.-Samml. S. 375, 395, 
399), zu welchen letzteren das Staatsministerium am 8. Dezember zwei 
Wahlreglements publizirte. Die Verfassungsurkunde sprach in ihrem Ein- 
gange aus, „daß die eingetretenen außerordentlichen Verhältnisse die beabsich- 
tigte Vereinbarung der Verfassung unmöglich gemacht hätten, und daß des- 
halb, entsprechend den dringenden Forderungen des öffentlichen Wohls, in mög- 
lichster Berücksichtigung der von den gewählten Vertretern des Volks ausgegangenen 
umfassenden Vorarbeiten, die Verfassungsurkunde von der Krone erlassen wor- 
den sei.“ Ebenmäßig hob das die Kammern einberufende Patent hervor, 
„daß die Absicht dahin gerichtet gewesen sei, das Volk sogleich der von dem- 
selben ersehnten Segnungen der verheißenen konstitutionellen Freiheit theilhaf- 
tig werden zu lassen und deshalb die Regelung der letztern nicht von dem in 
ferner Aussicht stehenden Ergebniß der Vereinbarung mit einer anderweitigen 
Volksvertretung abhängig zu machen, vielmehr dieselbe durch die Verfassungs- 
urkunde dauernd zu sichern“. Sodann heißt es weiter in dem Patent: „Bei 
der Feststellung dieses Staatsgrundgesetzes ist der von der Regierung vorge- 
legte Entwurf, welcher nach Maßgabe der von der Verfassungskommission der 
zur Vereinbarung berufenen Versammlung ausgegangenen Vorschläge und der 
übrigen Vorarbeiten derselben, sowie in gebührender Berücksichtigung der Be- 
schlüsse der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M. modifizirt 
wurde, zu Grunde gelegt worden.“ Außerdem war, was aber nicht ausge- 
sprochen war, die Belgische Verfassung vom 25. Februar 1831 benutzt. Die 
Abweichungen von dem früheren Entwurf und den Beschlüssen der Verfassungs- 
kommission waren nicht zahlreich, aber es befand sich unter ihnen als ganz 
neu der Abs. 2 des Art. 105: 
Wenn die Kammern nicht versammelt sind, können in dringenden 
Fällen, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums, Ver- 
ordnungen mit Gesetzeskraft erlassen werden, dieselben sind aber den Kam- 
mern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vor- 
zulegen. 
Auch in den Wahlgesetzen waren einige Neuerungen enthalten. Das aktive Wahl- 
recht zur Zweiten Kammer setzt nun auch Selbstständigkeit voraus; ein Wahl- 
mann entfällt bereits auf 250 Urwähler; die Wahlbezirke werden so gebildet, 
daß auf jeden Wahlbezirk mindestens zwei Abgeordnete fallen; die Wahl von 
Stellvertretern findet nicht mehr statt; der zu wählende Abgeordnete muß be- 
reits ein Jahr lang dem Preußischen Staatsverbande angehört haben; die 
Gesammtzahl der Abgeordneten beträgt 350. Die Erste Kammer soll 180 
Mitglieder enthalten, und zwar sollen nach Art. 63 der Verfassungsurkunde 
die Provinzial-, Bezirks= und Kreisvertreter die Wahlkörper bilden, welchen 
die Wahl der Kammermitglieder zusteht. Die Ausführung des Art. 63 setzt 
also die Emanation der in Art. 104 vorgesehenen Gesetze über die Vertretung
	        
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