V. Das Abgeordnetenhaus. 1. Verordn. v. 30. Mai 1849. 88 8, 9. 461
88.
Jeder selbstständige Preuße, welcher das 24. Lebensjahr vollendet und
nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte in Folge rechtskräftigen richterlichen
Erkenntnisses verloren hat, ist in der Gemeinde, worin er seit sechs Monaten
seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter Urwähler, sofern er
nicht aus öffentlichen Mitteln Armenunterstützung erhält.
A. Ueber den Erwerb und den Verlust der Preußischen Staatsangehörigkeit siehe das
Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit vom
1. Juni 1870, oben S. 350. Nichtpreußen haben weder aktives, noch passives Wahl-
recht (Anmerk. B zu § 3 der Verfassungsurkunde, oben S. 49).
B. Der Begriff der Selbstständigkeit it nicht näher bestimmt, also nach dem jedesmaligen
Civilrechte zu bestimmen. Nicht selbstständig ist:
1) wer unter väterlicher Gewalt steht;
2) der Entmündigte (Geisteskranke und der gerichtlich erklärte Verschwender, prodigus
cviliter talis);
3) der Gemeinschuldner während der Dauer des Konkursverfahrens (Konkursordnung
ösn und Stenographische Berichte des Abgeordnetenhauses 1879/80 Bd. 1
392).
Gefangene sind an sich nicht unselbstständig, haben aber keinen Anspruch darauf, zur
Ausübung ihres Wahlrechtes vorübergehend in Freiheit gesetzt zu werden. Ebensowenig
sind Dienstboten als solche vom Wahlrecht ausgeschlossen, noch ist ein eigener Hausstand
(separata oeconomia) erforderlich.
C. Die Wirkung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte tritt ein mit der Rechtskraft
des Urtheils, aber ihre Zeitdauer wird von dem Tage an berechnet, an dem die Freiheits-
strafe, neben welcher die Aberkennung ausgesprochen wurde, verbüßt, verjährt oder
erlassen ist, Strafgesetzb. 88 34, 36. Die Begnadigung hebt auch den erkannten Verlust
der bürgerlichen Ehrenrechte auf, aber nur für die Zeit nach erfolgter Begnadigung,
nicht auch rückwirkend für die Zeit von der Verurtheilung bis zur Begnadigung.
D. Wie in Art. 70 Abs. 2 der Verfassungsurkunde bestimmt ist, darf der Urwähler, welcher
in mehreren Gemeinden zur Theilnahme an den Wahlen berechtigt ist, sein Wahlrecht
gleichwohl nur in einer Gemeinde ausüben.
E. Unter Armenunterstützung ist eine solche Beihülfe zu verstehen, welche Jemandem für
sich und seine Familie zur Erhaltung von Leben oder Gesundheit gegeben wird, nicht
auch dasjenige, was für andere Zwecke, wie z. B. Kindererziehung durch Schulgeld-
befreiung oder Lehrmittelfreiheit gewährt wird. Diese Beihülfe muß außerdem aus
öffentlichen Mitteln auf Grund der öffentlichrechtlichen Verpflichtung zur Armenunter-
stützung gewährt werden. Also gehören nicht dahin Beihülfen, welche den nur privat-
rechtlichen Charakter der Schenkung tragen, z. B. außerordentliche Bewilligungen bei
allgemeinen Nothständen, Naturereignissen u. a, auch nicht die Leistungen der Knapp-
schafts, und Krankenkassen oder der Unfallberufsgenossenschaften, die Alters- und
Jnvalidenrente. Siehe v. Rönne Bd. 1 § 59 S. 240 Anmerk. 5 und Arndt S. 231
Anmerk. 4.
§ 9.
Die Militärpersonen des stehenden Heeres und die Stammmannschaften
der Landwehr wählen an ihrem Standorte, ohne Rücksicht darauf, wie lange
sie sich an demselben vor der Wahl aufgehalten haben. Sie bilden, wenn sie
in der Zahl von 750 Mann oder darüber zusammenstehen, einen oder mehrere
besondere Wahlbezirke. Landwehrpflichtige, welche zur Zeit der Wahlen zum
Dienste einberufen sind, wählen an dem Orte ihres Aufenthaltes für ihren
Heimathsbezirk.
Militärgesetz vom 2. Mai 1874 (Reichs-Gesetzbl. S. 45).
§ 49 Abf. 1.
Für die zum aktiven Heere gehörigen Militärpersonen, mit Ausnahme der
Militärbeamten, ruht die Berechtigung zum Wählen sowohl in Betreff der Reichs-
vertretung, als in Betreff der einzelnen Landesvertretungen. Eine Vereinigung der