I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 10. 71
Vorschriften erlassen über Alles, was im Interesse der Gemeinde, des Kreises u. s. w.
und ihrer Angehörigen polizeilich geordnet werden muß. In diese Vorschriften darf
keine Bestimmung aufgenommen werden, welche mit den Gesetzen oder den Verordnungen
einer höheren Instanz im Widerspruche steht. Nun liegt es aber auf der Hand, daß
im Interesse des Gemeinwohles, insbesondere in Fürsorge für Leben und Gesundheit
die Polizeibehörde genöthigt sein kann, der freien Benutzung des Eigenthums Schranken
zu setzen, falls sie nicht in ihren wesentlichen Funktionen, insbesondere in der Straßen-,
Markt-, Gesundheits= und Baupolizei lahm gelegt, und so Zustände herbeigeführt werden
sollen, bei welchen unter den gegebenen Kulturverhältnissen die Gesellschaft nicht bestehen
könnte. In einem solchen Falle kann von einer Beschränkung des verfassungsmäßig
garantirten Eigenthums keine Rede sein, weil letzteres schon an sich dahin beschränkt ist,
daß seine Ausübung nicht in einer das Allgemeinwohl schädigenden Weise erfolgen darf.
Die rücksichtslose Durchführung der Konsequenz des Eigenthumsbegriffs ist überhaupt in
keinem Rechte freigegeben. Ueber die gesetzlich zulässigen Grenzen würde dagegen eine
Polizeiverordnung hinausgehen, welche die Erfüllung einer obligatorischen Verpflichtung
von lediglich privatrechtlicher Natur gebieten wollte, und ebensowenig darf sie der richter-
lichen Entscheidung über Eigenthum und Besitz vorgreifen. Auf der anderen Seite ist
ihre Gültigkeit nicht dadurch bedingt, daß sie eine Beschränkung des Eigenthums ohne
Entschädigung anordnet. Denn das für die ganze Monarchie gültige Gesetz über die
Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai
1842 (Ges.-Samml. S. 192) bestimmt, daß, wenn Jemand durch eine polizeiliche Ver-
fügung einen solchen Eingriff in seine Privatrechte erlitten zu haben behauptet, für
welchen nach den gesetzlichen Vorschriften über Aufopferung der Rechte des Einzelnen
im Interesse des Allgemeinen Entschädigung gewährt werden müsse, der Rechtsweg
darüber stattfindet, ob ein Eingriff dieser Art vorhanden ist und zu welchem Betrage
dafür Entschädigung geleistet werden muß. Die Frage nach der Entschädigung ist al##“
durch ein besonderes Gesetz geregelt. Vergleiche: Reichsgericht 19. April 1881, Ent-
scheidungen in Strafsachen Bd. 4 S. 107, und 15. März 1884, Gruchot, Beiträge 1884
S. 975; Kammergericht 3. Oktober und 10. November 1881, 28. Januar 1886,
12. Juli 1888, 21. Februar und 25. April 1889, Johow Jahrbuch Bd. 4, S. 307, Bd. 3
S. 310, Bd. 6 S. 317, Bd. 8 S. 140, Bd. 9 S. 244 und 259; Oberverwaltungsgericht
5. Dezember 1881, 9. Jannar 1884, 5. Mai 1886, Entscheidungen Bd. 8 S. 327,
Bd. 11 S. 365, Bd. 13 S. 314.
Artikel 10.
Der bürgerliche Tod und die Strafe der Vermögenseinziehung
finden nicht statt.
A. Die Strafe des bürgerlichen Todes, d. h. des Verlustes der Rechtsfähigkeit und die
Vermögenseinziehung sind durch Art. 10 abgeschafft, seitdem aus der Preußischen Straf-
gesetzgebung verschwunden und auch dem Reichsstrafrecht fremd. Das letztere kennt
jedoch eine Beschlagnahme des Vermögens bis zur rechtskräftigen Beendigung der
Untersuchung bei Hoch= und Landesverrath (§ 93) und zur Deckung der den Angeschul-
digten möglicher Weise treffenden höchsten Geldstrafe und der Kosten des Verfahrens bei
Verletzung der Wehrpflicht (§ 140). Außerdem können Gegenstände, welche durch ein
vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht (scelere producta), oder welche zur
Begehung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens bestimmt sind (instrumenta
sceleris), sofern sie dem Thäter oder einem Theilnehmer gehören, eingezogen werden
(Strafgesetzbuch § 40), in den Fällen der §§8 152, 295, 296 a, 360, 367 und 369 Nr. 2
(0) des Strafgesetzbuchs sogar ohne diese Beschränkung. Ist der Angeklagte abwesend,
d. h. ist sein Aufenthalt unbekannt oder die Befolgung der für Zustellungen im Aus-
lande bestehenden Vorschriften unausführbar oder voraussichtlich erfolglos, so können
zur Deckung der ihn möglicher Weise treffenden höchsten Geldstrafe einzelne zu seinem
Vermögen gehörige Gegenstände, event. sogar sein ganzes im Deutschen Reich befind-
liches Vermögen mit Beschlag belegt werden (Strafprozeßordnung §§ 325, 326). Außer-
dem ist in einer Reihe von Spezialfällen die Einziehung einzelner Gegenstände für zu-
lässig erklärt oder gar angeordnet, in der Preußischen Gesetzgebung z. B. durch 8 23
des Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1. April 1880 (Ges.-Samml. S. 230) und in
vielen Reichsgesetzen. Das Verfahren bei Einziehungen und Vermögensbeschlagnahmen
regelt Str Gseer rírn 88 477—480.