I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 11. 73
bietes in der Absicht der Aufhebung des Unterthanenverhältnisses durch dauernde Nieder-
lassung in einem fremden Staate. Nach Art. 4 Nr. 1 der Reichsverfassung untersteht
die Auswanderung der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der Gesetzgebung des-
selben, so daß das Reich berechtigt ist, die Auswanderung nach allen ihren Seiten —
staatsrechtlich, strafrechtlich und civilrechtlich — zu ordnen. Die Thätigkeit des Reiches
hat sich jedoch bis jetzt auf zwei Punkte beschränkt. Das Reich hat nämlich
1. in §8 15, 17 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes-- und
Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 (unten Nr. II) die Beschränkungen der Frei-
heit der Auswanderung festgestellt. Aus anderen Gründen als den reichsgesetzlichen
darf nach § 17 in Friedenszeiten die Entlassung nicht verweigert werden, wogegen
für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr dem Kaiser der Erlaß besonderer
Anordnung vorbehalten bleibt. Diese reichsgesetzlichen Bestimmungen sind an die
Stelle des Abs. 1 des Art. 11 getreten, welcher nicht soweit geht wie jene, da § 15
Abs. 2 Nr. 2 cit. auch die Auswanderung der Beamten, bevor sie aus dem Dienste
entlassen sind, für unzulässig erklärt. Uebrigens normirt das Reichsgesetz seine Be-
schränkungen ebenso wie Art. 11 nur „von Staatswegen“. Mit diesen Worten ist
ausgedrückt, daß der Auswanderungsfreiheit allerdings andere Hindernisse, als
welche aus dem Rechte und dem Interesse des Staates entspringen, entgegenstehen
können. Dahin gehören insbesondere die privatrechtlichen Beschränkungen, welche
aus dem ehelichen Recht des Ehemannes, aus der väterlichen oder vormundschaft-
lichen Gewalt 2c. 2c. entspringen. Dahin gehört auch die sich von selbst verstehende
Beschränkung in Betreff solcher Personen, die wegen unerlaubter Handlung in Unter-
suchung oder Haft sich befinden.
2. Um die Sicherheit und die gesundheitlichen Interessen bei der Ueberführung wahr-
zunehmen, ist für die Häfen Hamburg, Kuxhafen, Bremen, Bremerhafen, Geestemünde,
Nordenham, Stettin und Swinemünde ein in Hamburg stationirter Reichskommissar
bestellt. Ferner ist die betrügerische Verleitung zur Auswanderung durch Straf-
gesetzbuch § 144 mit Strafe bedroht. Dagegen gehört nach § 6 der Gewerbeordnung
vom 21. Juni 1869 (Bundes-Gesetzbl. d. Nordd. Bundes S. 245) die Zulassung und
Ueberwachung der Auswanderungsunternehmer und Auswanderungsagenten zur
einzelstaatlichen Kompetenz. Somit ist das Gesetz, betreffend die Besorlerung von
Auswanderern, vom 7. Mai 1853 (Ges.-Samml. S. 729) in Kraft geblieben, neben
welchem noch genannt werden mögen für die Provinz Hannover die Gesetze vom
19. März 1852 und 14. Juni 1866 (Ges.-Samml. für Hannover 1852 Abth. 1 S. 19
und 1866 S. 155).
B. Abzugsgeld, Abfahrtsgeld, Nachsteuer (zus detractus. gabella emigrationis) ist eine von
dem Vermögen des Auswanderers seitens des bisherigen Heimathsstaates erhobene Ab-
gabe. Die Aufhebung dieser Abgabe durch Abs. 2 ist eine absolute, so daß sie nicht
einmal im Wege der Retorsion auferlegt werden darf. Verwandt ist der Abschoß
(census hereditarius. gabella hereditaria, detractus realis), eine Abgabe, die von einer
in das Ausland gehenden Erbschaft — nach A. L. R. Th. II Tit. 17 § 162 auch von
Schenkung, Brautschatz, Vermächtniß — entrichtet wird. In Gemäßheit Art. 18 der
Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 und Bundestagsbeschluß vom 23. Juni 1817
ist durch Verordnung, betreffend die Aufhebung des Abschosses und Abfahrtsgeldes in
den Deutschen Bundesstaaten, vom 11. Mai 1819 (Ges.-Samml. S. 134) völlige Abzugs-
freiheit für jede in einen anderen Bundesstaat — also auch Oesterreich, Lichtenstein,
Luxemburg, Limburg — übergehende Art von Vermögen, also auch die Freiheit vom
Abschoß festgesetzt worden. Diese Aufhebung ist durch spätere Freizügigkeitsverträge auf
die nicht zum Deutschen Bunde gehörenden Provinzen Preußen und Posen ausgedehnt.
Außerdem ist durch eine Reihe von Verträgen die beiderseitige Aufhebung vereinbart worden
mit Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien (Vertrag vom 5. Juni 1812), Neapel,
Niederland, Vereinigte Staaten von Nordamerika, Oesterreich, Portugal, Rußland,
Sardinien, Schweden und Norwegen, Schweiz. Die Kabinetsordre vom 11. April 1822
(Ges.-Samml. S. 181) bestimmte generell, daß der Abschoß nur zur Retorsion erhoben
werden dürfe. Hierbei ist es, soweit die Preußische Gesetzgebung in Betracht kommt,
geblieben. Für das Innere des Deutschen Reichsgebiets hat Art. 3 der Reichsverfassung
— Anmerk. B zu Art. 3, oben S. 49 — Abzugsgeld und Abschoß beseitigt. Außerdem sind
Abzugsgeld und Abschoß beseitigt zwischen dem Deutschen Reich und Dänemark, und
zwar ohne der Retorsion Raum zu lassen, durch das Uebereinkommen zwischen dem
Deutschen Reich und Dänemark über die Aufhebung des Abschosses und Abfahrtsgeldes
vom 5. Februar 1891 (Reichs-Gesetzbl. S. 346).